Psychologe: Kinder mit geringem Selbstwertgefühl haben das oft von ihren Eltern

Wenn Eltern sich häufig ängstlich zeigen, kann sich das auf das Selbstwertgefühl ihrer Kinder auswirken. Laut Psychologen glauben diese dann auch weniger an sich.
Stuttgart - Ein gutes Selbstwertgefühl ist wichtig, um gut durchs Leben zu kommen. Wer sich seiner Fähigkeiten bewusst ist und auf sich vertraut, wird es immer leichter haben als jemand, der die Bestätigung im Außen sucht. Psychologen betonen, wie wichtig es ist, Kinder in der Erziehung zu stärken. Das bedeutet keinesfalls, sie zu Größenwahnsinnigen zu erziehen, wie die Psychiaterin Dr. Lea Lis gegenüber dem Online-Portal Fatherly erklärt. „Es gibt kein zu hohes Selbstwertgefühl. Selbstwertgefühl entsteht aus dem Verständnis für sich selbst und die Welt um einen herum. Ihr Selbstwertgefühl kann nicht zu gesund sein.“
Bereits im Alter von fünf Jahren beginnt ein Mensch, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt entstehen im Gehirn Denk- und Verhaltensweisen, die auch als Schemata bekannt sind. Laut Lis handelt es sich dabei um „Informationspakete, die in den neuronalen Netzen des Gehirns über lange Zeiträume hinweg angesammelt und gespeichert werden.“ Erfahrungen und Rückmeldungen prägen sowohl positive Schemata - beispielsweise Gedanken wie „Ich bin klug“, „Ich bin freundlich“ und „ich bin fähig“ - als auch negative Schemata - mit entsprechend selbstkritischem Gedankengut.
Selbstwertgefühl: Kinder nicht nur loben, wenn sie etwas gut machen
Kleine Kinder nehmen eine enorme Menge an Daten aus ihrer Umgebung auf, da sich ihre neuronalen Netze erst zu bilden beginnen. Das macht ihre Schemata flexibler, aber auch empfindlicher. Die richtigen Botschaften machen einen ebenso großen Unterschied wie die falschen. Selbstwertgefühl entsteht also nicht durch Lob an sich, sondern durch die richtige Art von Lob. Eltern sollten ihre Kinder nicht nur loben, wenn sie etwas gut machen, sondern auch, wenn sie es versuchen und scheitern.
Ein gesundes Selbstwertgefühl sollte derweil keinesfalls mit Narzissmus verwechselt werden. Während Narzissten ihren Wert von ihren Erfolgen ableiten und ständig Lob brauchen, ist dies bei Menschen mit gesundem Selbstwertgefühl mitnichten der Fall. Sie sind nicht auf die Anerkennung von außen angewiesen und kennen ihren Wert - egal, was passiert. Der Psychotherapeut John Mathews weist darauf hin, dass ein genauerer oder zumindest weniger gewichtiger Begriff für „Selbstwertgefühl“ „Selbstwirksamkeit“ ist - also der Glaube an die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Einfluss auf die Geschehnisse im Leben zu haben. Im Gegenzug wäre es falsch, Kindern alles abzunehmen - davor warnte erst kürzlich ein renommierter Pädagoge. Bei Selbstwirksamkeit geht es nicht darum, Kinder zu erziehen, die sich für großartig halten, sondern vielmehr darum, Kinder zu erziehen, die einen Sinn und eine Bedeutung in ihrem Leben sehen.
Eltern mit geringem Selbstwert: Kinder nehmen es wahr und glauben selbst, dass sie nicht gut genug sind
„Man kann einem Kind helfen, Selbstwirksamkeit zu entwickeln, indem man es ermutigt, Probleme selbständig zu lösen“, sagt Mathews. Die Krux daran: Viele Eltern sind selbst nicht so erzogen worden - das heißt, es fällt ihnen schwerer als anderen, ihre Kinder bedingungslos zu stärken - unabhängig davon, ob sie eine Aufgabe „gut“ oder „schlecht“ erledigt haben. Laut Mathews neigen Eltern, die selbst ein geringes Selbstwertgefühl haben, dazu, dies an ihre Kinder weiterzugeben. Selbst, wenn sie ihren Kindern viel positives Feedback geben, kann es sein, dass sie ihnen schlichtweg einen geringen Selbstwert „vorleben“.
Da Schemata weiter entwickelt sind, ist es für die Erwachsenen schwieriger, ihr geringes Selbstwertgefühl zu korrigieren, weil sie schon so lange auf die falschen Botschaften hören. Die Kinder nehmen die Art, wie ihre Eltern mit Problemen umgehen, wahr, und beginnen womöglich auch irgendwann zu glauben, dass sie nicht gut genug sind. Fatal ist es laut Experten auch, wenn Eltern ihre Kinder schimpfen.
„Kinder lernen, die Welt mit den Augen ihrer Bezugspersonen zu sehen. Wenn Eltern sich selbst herabsetzen, ängstlich sind oder anderen misstrauen, werden sie diese Eigenschaften wahrscheinlich an ihre Kinder weitergeben“, warnt Psychiaterin Lea Lis. Als Lösung für das Selbstwert-Dilemma schlägt Lis vor, dass Eltern sich zunächst um ihr eigenes, geringes Selbstwertgefühl kümmern. Erst dann sollten sie anfangen, an ihren Kindern zu „arbeiten“. Die gute Nachricht: Nur, weil ein Erwachsener mit einem geringen Selbstwertgefühl aufgewachsen ist, heißt das nicht automatisch, dass auch das eigene Kind unsicher wird.