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Kristina Vogel im Interview: „Man erlebt fast täglich irgendeine Art von Diskriminierung“

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Von: Franziska Schuster

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Ehemalige Bahnradfahrerin Kristina Vogel
„Meiner Meinung nach ist ein Mensch das, was er in seinem Leben durchlebt hat“, sagt Kristina Vogel im BW24-Interview. © imago images

Kristina Vogel gehört zu den weltweit erfolgreichsten Sportlerinnen. Ein Trainingsunfall 2018 tat ihrem Engagement und Lebensmut keinen Abbruch. Im Interview mit BW24 erzählt sie von neuen Projekten und warum Inklusion ihrer Meinung nach immer noch zu kurz kommt.

Stuttgart - Olympiasiegerin, Spitzensportlerin und Rednerin: Kristina Vogel hat viele Talente. Zweimal gewann die heute 32-Jährige olympisches Gold, erlangte elfmal den Weltmeistertitel und ist damit die bisher erfolgreichste Bahnradfahrerin aller Zeiten. Bei einem Trainingsunfall 2018 erlitt Kristina Vogel eine schwerwiegende Wirbelsäulenverletzung und ist seither querschnittsgelähmt. Ihrer positiven Art und Freude am Leben hat das nie einen Abbruch getan. Mit dieser Einstellung ist sie ein Vorbild für viele Menschen geworden. Daher nutzt Kristina Vogel ihre Stimme auch, um auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.

Eines ihrer Herzensprojekte ist das teilbare Rollstuhlrad Trivida, das Kristina Vogel als Markenbotschafterin vertritt. Mit der Erfindung traten die Gründer sogar in der VOX-Sendung „Die Höhle der Löwen“ auf der Suche nach einem Investor auf. Für einen Deal reichte es leider nicht. Entmutigen ließ sich das Team aber keinesfalls. Seit Oktober 2022 hat das Trivida-Rad eine eigene Hilfsmittelnummer. Somit übernehmen Krankenkassen die Kosten für das Rad. Ein großer Erfolg für Trivida und Kristina Vogel, wie sie im Gespräch mit BW24 berichtet. Wir haben mit ihr außerdem über ihre abwechslungsreiche Arbeit, ihr Engagement und ihren Alltag geredet.

Frau Vogel, wie genau kam es zur Zusammenarbeit mit Trivida?

Kristina Vogel: Man hatte mich 2019 gefragt, ob ich nicht Partnerin und Markenbotschafterin für Trivida werden möchte und mir wurde ein Prototyp vorgestellt. Damals war das Trivida-Rad noch sehr schwer, da es CNC-gefräst war. Mittlerweile bestehen die Trivida-Varianten aus weitaus leichterem Carbon oder Plastik. Als ich dann einen Prototyp an meinen Rollstuhl gebaut habe, war ich erstaunt, dass es wirklich so einfach geht. Das war für mich ein richtiger Aha-Moment. Ich habe mich an meine Anfangszeit erinnert, als ich noch nicht lange im Rollstuhl saß und meinen ersten Transfer machen musste. Hätte ich das Trivida-Rad damals schon gehabt, hätte ich viel schneller im Rollstuhl sitzen können. Die Liebe für die Idee war dadurch sofort da.

Olympiasiegerin Kristina Vogel und die Gründer von trivida, Dr. Christine Pflaumbaum, Wolf Dietrich Pflaumbaum und Christian Czapek
Nach einem Unfall ist Olympiasiegerin Kristina Vogel auf den Rollstuhl angewiesen. „Als behinderter Mensch wird einem ganz oft die Mündigkeit genommen“, erklärte sie bei „Die Höhle der Löwen“. ©  RTL / Bernd-Michael Maurer

Der Deal bei „Die Höhle der Löwen“ ist nach der Sendung geplatzt. War die Enttäuschung groß?

Es gab diverse strategische Gründe, die zum Scheitern des Deals führten. Es wäre natürlich toll gewesen, wenn der Deal geklappt hätte. Aber es ist, wie es ist. Für uns war der Auftritt bei DHDL trotzdem eine gute Werbung. Zum Beispiel verstehen Krankenkassen und Zulieferer nun, wie das Produkt funktioniert. 

Das Trivida-Rad hat den „German Innovation Award“ gewonnen. Macht Sie das stolz?

Man ist ja befangen. Wenn man an eine Sache glaubt und diese toll findet, hat man oft eine rosarote Brille auf. Daher ist es super, dass die Ideen, die wir haben und die Leidenschaft, die in das Produkt fließt, auch von anderen wertgeschätzt werden. Solche Auszeichnungen und Awards zu bekommen, ehrt einen sehr und zeigt uns, dass wir an der Sache dran bleiben müssen. 

Kristina Vogel über ihre Projekte: „Ich genieße es sehr, dass meine Arbeit gerade so divers ist“

Wo nehmen Sie Ihre positive Energie her?

Ich mag es, zu lachen und Spaß zu haben. Vielleicht ist es aber auch ein Stück weit Erziehung oder Training. Meiner Meinung nach ist ein Mensch das, was er in seinem Leben durchlebt hat. Ich hatte immer schon gerne Spaß und habe es auch heute noch. Warum sollte ich damit aufhören, nur weil ich im Rollstuhl sitze? Für mich ist der Rollstuhl einfach nur ein Hilfsmittel, um mich fortzubewegen. Genauso wie Leute, die eine Brille zum Sehen brauchen – die können im Leben ja genauso viel Spaß haben. 

Seit Ihrem Unfall haben Sie beruflich sehr viel ausprobiert. Welche Aufgabe hat Sie bisher am meisten herausgefordert?

Alles hat mich auf eine andere Art und Weise gefordert. Ich finde es toll, dass es so divers ist. Ich mache mir heute nicht mehr nur Gedanken darüber, wie ich den besten Trainingsplan bekomme. Das Kommentieren des Bahnradsports ist mir immer noch geblieben. Aber ich bin auch Trainerin in der Bundespolizei und muss dort schauen, dass die Athleten gut betreut sind. Mein Buch zu schreiben, war auch sehr intensiv. Dinge so stark zu beleuchten und zu reflektieren, das macht man normalerweise nicht. Es ist schön, sich auf so viele verschiedene Ideen und Gebiete einzulassen, den besten Weg zu finden. Auch das ist oft sehr anspruchsvoll. 

Ich genieße es sehr, dass meine Arbeit gerade so divers ist und auch so viele verschiedene Angebote kommen. Dadurch kann ich auch mal über den Tellerrand blicken. 

Was hat Ihnen von all diesen Aufgaben am meisten Spaß gemacht?

Als ich bei den Olympischen Spielen kommentieren durfte und meine beste Freundin währenddessen eine Goldmedaille gewonnen hat, hat das schon ganz schön Spaß gemacht. Das wäre natürlich cool, wenn das so weiter geht. Es ist aber auch schön, sein Buch im Regal stehen zu haben. Das macht mich sehr stolz. Das Leben, wie es aktuell ist, macht Spaß. Manchmal ist es hier und da anspruchsvoll und nicht immer rosarot, aber ich würde keines meiner Projekte missen wollen.

Haben Sie schon weitere Pläne, was Sie als Nächstes anpacken möchten?

Aktuell studiere ich an der Trainerakademie, um Diplom-Trainerin zu werden. Ich habe zwar schon den Trainer-Schein, aber dadurch bin ich weiter und besser qualifiziert. Ich brauche noch knapp zwei Jahre bis zum Abschluss. Voraussichtlich bin ich vor den Olympischen Spielen in Paris fertig.

Man erlebt fast täglich irgendeine Art von Diskriminierung.

Kristina Vogel, ehemalige Bahnradfahrerin und Olympiasiegerin

Sie meinten einmal in einem Interview, dass Sie eine Teilnahme an den Paralympics ausschließen. Ist das noch immer so?

Die paralympischen Leistungssportler sind unheimlich krass. Ich finde es erschreckend, dass der paralympische Sport nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die der olympische Sport in Deutschland erhält. Leistungssport hat immer irgendwann ein Ende. Für mich kam es durch den Unfall früher als geplant. Es gibt für mich keine andere Sportart, die mich so ausgefüllt hat, wie es das Bahnradfahren getan hat. Meine Devise lautet: ganz oder gar nicht. Wenn ich nicht das Feuer für etwas habe, wie etwa für den Bahnradsport, warum sollte ich es dann machen? Ich mache immer noch paralympischen Sport für mich, weil ich gerne Sport mache und man aktiv sein sollte. 

Glauben Sie, dass der Unfall Ihnen auch neue Türen geöffnet hat und Sie nun Dinge tun, an die Sie vor dem Unfall nie gedacht hätten?

Ich bin ja zum ersten Mal in einer Zeit, wo das Leben nach der Karriere auch einfach stattfindet. Während meiner Radsportkarriere hätte ich vieles in dem Umfang, in dem ich es heute mache, gar nicht machen können. Das Training hatte damals einfach den höchsten Stellenwert. Wenn ich heute im Alltag mal keine Zeit für Sport habe, dann ist das auch okay. Als Leistungssportler ist das undenkbar. Da ich meine Zeit als Nicht-Leistungssportlerin nur mit Behinderung kenne, kann ich das nur schwer sagen. 

Kristina Vogel bei der Bahnrad-WM in Hongkong
Während ihrer sportlichen Karriere räumte Kristina Vogel zahlreiche Medaillen und Preise ab. © Kin Cheung/AP/dpa

In einer Instagramstory haben Sie einen Hotelbesuch gezeigt, bei dem ein Duschhocker auf einer Ablage lag, die für die meisten Rollstuhlfahrer unerreichbar wäre. Ärgert Sie so etwas?

Für mich war der Duschhocker zum Glück erreichbar. Für andere, die nicht so fit sind wie ich, wäre es ein Problem gewesen. Man will vieles zwar barrierefrei machen, doch oft denken die Menschen nicht bis zum Schluss. Von daher ist der Alltag mit Behinderung anstrengend, tatsächlich auch, weil Inklusion nicht so stattfindet, wie es stattfinden sollte oder wie man es sich auch wünscht.

Man erlebt fast täglich irgendeine Art von Diskriminierung. Es ist noch ein sehr langer Weg, bis dem nicht mehr so ist. Bis dahin nutze ich meine Stimme, um darauf aufmerksam zu machen, dass es auch die kleinen Sachen sind, die helfen. Es muss nicht immer gleich der riesige Fahrstuhl sein, manchmal reicht es schon, wenn die Putzkraft nach der Reinigung des Zimmers den Duschhocker nicht außer Reichweite liegen lässt. Aufklärung ist hier das A und O. Aufklärung kann dabei helfen, die Welt diverser und bunter zu machen. Es bringt niemandem etwas, wenn man zehn gleiche Menschen an einen Tisch setzt. Dann wird das Projekt langweilig. Aber wenn viele Meinungen und viele Menschen zusammenkommen, dann wird es erst bunt, toll und interessant. Das spiegelt auch das wider, was wir in der Gesellschaft brauchen.

Es wird immer viel von Inklusion geredet, es passiert aber vergleichsweise wenig. Was glauben Sie, woran das liegt?

Es braucht hier eine Politik, welche die Regeln auch mal durchsetzt. Es gibt viele Länder, in denen das barrierefreie Bauen verpflichtend ist. In Deutschland ist die Gesetzeslage zwar da, es hält sich jedoch niemand daran, da es auch keine Strafmittel gibt. Und solange Firmen es noch als „Good Will“ ansehen, Menschen mit Behinderung einzustellen, sagt das sehr viel über die Gesellschaft aus. 

Bahnradlegende Kristina Vogel

Kristina Vogel ist eine ehemalige deutsche Bahnradfahrerin und Olympiasiegerin. Sie wurde am 10. November 1990 in Leninskoje, Kirgisistan, geboren und lebt in Erfurt, Deutschland. Kristina Vogel war auf das Bahnradfahren spezialisiert und wurde von Detlef Uibel trainiert. Vogel gewann unter anderem 11 Weltmeistertitel und 2 Goldmedaillen bei Olympischen Spielen. Ein Trainingsunfall 2018 zwang die Spitzensportlerin zum Karriere-Aus. Das Leben im Rollstuhl tat Kristina Vogels Sportbegeisterung keinen Abbruch. Sie ist Trainerin in der Spitzensportfördergruppe der Bundespolizei und kommentiert und moderiert für das ZDF und Eurosport.

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