Gender Pay Gap: „Bereinigter“ Gap ist immer noch ein Hohn - Benachteiligung von Frauen in der Berufswelt

Frauen in Deutschland verdienen bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit im Schnitt 6 Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Noch immer wird dieser Umstand viel zu oft schweigend hingenommen. Ein Kommentar.
Stuttgart - Wenn es ums Gehalt geht, bewahren viele Angestellte in Deutschland Stillschweigen. Zwar gibt es kein Gesetz, das verbietet, darüber zu sprechen. Trotzdem setzen die meisten Arbeitgeber dies quasi voraus. Plaudertaschen sind nicht gerne gesehen und könnten für Missgunst und schlechte Stimmung am Arbeitsplatz sorgen. Doch nicht immer ist die Unzufriedenheit über die persönliche Bezahlung unbegründet. So gibt es etwa nachweislich ein Gefälle beim Verdienst von Mann und Frau, das Arbeitgeber nicht von der Hand weisen können.
Im Jahr 2021 haben Frauen in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer. Rechnet man heraus, dass Frauen häufiger in Teilzeit oder schlechter bezahlten Branchen arbeiten, liegt der Unterschied immer noch bei sechs Prozent. Sechs Prozent, die nur durch das Geschlecht begründet werden. Die Bezeichnung „bereinigter“ Gender Pay Gap grenzt schier an Hohn, wenn man bedenkt, dass der Lohnunterschied dadurch keineswegs eliminiert wurde.
Gender Pay Gap: „Entgelttransparenzgesetz“ zeigt wenig Wirkung
Alleine in meinem persönlichen Umfeld kenne ich einige Beispiele, in denen Frauen in vergleichbaren Positionen weniger verdienen als Männer. Der Bonus, Thomas, Stefan oder Andreas zu heißen, wiegt häufig schlichtweg schwerer als die Berufserfahrung einer Leonie, einer Marie oder einer Sandra. Hinzu kommt, dass Frauen sich erwiesenermaßen im Job eher unterschätzen, Männer ihre Leistung hingegen überschätzen - was natürlich eine ganz andere Ausgangslage in der Gehaltsverhandlung schaffen kann.
Zwar existiert seit 2017 ein Gesetz, laut dem Frauen in Unternehmen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen wie Männer. Einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge zeigt das Gesetz zur Lohngleichheit allerdings keine spürbaren Effekte: In den zwei Jahren nach der Gesetzesverabschiedung hätten von den befragten Großbetrieben mit jeweils mehr als 500 Beschäftigten nur 18 Prozent die Vorgabe umgesetzt.
Gender Pay Gap: Jeder Frau wird unterstellt, dass sie Kinder bekommen will
Die Gründe für die ungleiche Vergütung von Mann und Frau sind vielfältig. Familienbegründete Unterbrechungen, zum Beispiel durch Elternzeit oder Pflege von Angehörigen, sind bei Frauen im Durchschnitt länger und häufiger. Solche Fehlzeiten können lang nachwirkende Einbußen bei Lohn- und Einkommensentwicklung zur Folge haben.
Eine Rolle spielen auch Geschlechterstereotype. Eines davon: Jede Frau möchte ein Kind. Tatsächlich ist dieses traditionelle Verständnis von Familienplanung im Jahr 2022 völlig überholt. Die Zahl der kinderlosen Frauen ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Im Jahr 2018 betrug etwa die Kinderlosenquote unter den 45- bis 49-jährigen Frauen laut Statistischem Bundesamt 21 Prozent. Und sie wird weiter steigen. Tatsächlich gibt es immer mehr Frauen, die kinderlos glücklich sind und selbst über ihr Leben entscheiden wollen.
Statistisches Bundesamt spricht von „Obergrenze für Verdienstdiskriminierung“
Wie das Statistische Bundesamt erklärt, sei der bereinigte Gender Pay Gap „die Obergrenze für Verdienstdiskriminierung“. Ernsthaft? Es gibt eine Obergrenze für Diskriminierung? Sprich: Bis dahin ist die Diskriminierung in Ordnung - also quasi: „bis hier und nicht weiter“. Fairerweise sei gesagt: Vermutlich handelt es sich hierbei um eine wirklich unglücklich formulierte Begründung, die einfach nur ausdrücken soll: Frauen haben im Durchschnitt nachweislich längere Erwerbsunterbrechungen, weshalb sie teilweise den Wissensstand, den sie in dieser Zeit verpassen, aufholen müssen.
Trotz aller vermeintlich logischer Erklärungen für den Lohnunterschied der Geschlechter muss ich sagen: Die Tatsache, dass wir im Jahr 2022 wirklich noch darum streiten, ob es sich hierbei um Diskriminierung handelt, macht mich wütend. Wenn ich sehe, wie gewisse Hans-Jürgens bei Diskussionen in Karrierenetzwerken behaupten, ein Gender Pay Gap existiere nicht oder sei einer „Opferhaltung“ geschuldet, kann ich mich wirklich nur schwer beherrschen. Statt auf so einer Basis zu diskutieren, empfehle ich, diese Ignoranz als gegeben hinzunehmen und zu hoffen, dass an anderer Stelle diese nachweislich bestehende Ungerechtigkeit härter bekämpft wird.