Fachkräftemangel: Handwerksbetriebe bieten 4-Tage-Woche bei vollem Gehalt - doch das reicht nicht

Handwerksbetriebe kämpfen mit vollen Auftragsbüchern und zu wenig Personal. Manche bieten deshalb bereits eine 4-Tage-Woche - bei voller Bezahlung.
Stuttgart - IT-Firmen und Start-ups arbeiten inzwischen immer öfter mit einer 4-Tage-Woche bei gleichbleibender Bezahlung. In vielen Fällen ist der Freitag damit frei, die restlichen Tage sind dafür mitunter aber länger als acht Stunden. Bei Handwerksbetrieben ist eine solche Maßnahme bislang eher untypisch. Laut einem aktuellen Bericht der WirtschaftsWoche werben inzwischen aber viele Betriebe mit der 4-Tage-Woche, um Fachkräfte anzuwerben. Auch Lidl führte bereits eine 4-Tage-Woche ein, aber nur für ausgewählte Mitarbeiter.
Der Fachkräftemangel, gerade im Bereich der Handwerker und Dienstleister spitzt sich seit einigen Jahren immer weiter zu. Eine Hochrechnung der IHK Stuttgart ergab bereits im Juli 2021, dass bis ins Jahr 2035 etwa 863.000 Fachkräfte allein im Südwesten fehlen werden. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelte im selben Jahr, dass auf mehr als 200.000 offene Stellen im Handwerk nur etwa 140.000 arbeitssuchende Handwerker kämen. Bei vielen Handwerksbetrieben reicht das Angebot einer 4-Tage-Woche deshalb nicht aus.
Fachkräftemangel im Handwerk - „es sollten tabulos alle Ideen durchdacht werden“
Weniger Arbeiten für gleiches Gehalt klingt zunächst natürlich nach einem lukrativen Angebot. Aufgrund der vollen Auftragsbücher vieler Betriebe ist eine kürzere Arbeitszeit aktuell aber eher utopisch. „Die extrem vollen Auftragsbücher widersprechen eigentlich solchen Ideen“, erklärte Gerd Kistenfeger von der Handwerkskammer Region Stuttgart auf Anfrage von BW24. Aktuell würden viele Handwerker Überstunden machen müssen, um die vielen Kundenanfragen abarbeiten zu können. „Es sollten allerdings tabulos alle Ideen durchdacht werden, die dem Thema Fachkräftemangel im Handwerk entgegenwirken könnten“, so Kistenfeger. „Eine 4-Tage-Woche ist auf den ersten Blick selbstverständlich ein attraktives Arbeitszeitmodell.“
Der Sanitär- und Heizungsbetrieb Gaßner in der baden-württembergischen Gemeinde Denkingen (Kreis Tuttlingen) hat der WirtschaftsWoche zufolge bereits eine 4-Tage-Woche eingefügt. Die Mitarbeiter arbeiten mit 9,25 Stunden am Tag zwar länger, haben dafür aber einen vollen Tag frei und insgesamt nur noch eine 37-Stunden, statt einer 40-Stunden-Woche. Da manche Angestellten von Montag bis Donnerstag und andere von Dienstag bis Freitag arbeiten, nimmt der Betrieb dennoch an allen Wochentagen Kundenaufträge an. Auf der Suche nach neuen Bewerbern hilft diese Maßnahme dennoch wenig. „Das haben wir uns sicherlich anders erhofft“, sagte Ayleen Bauser, die den Betrieb mit ihrem Mann Marcus Gaßner führt.
4-Tage-Woche im Handwerk reicht oftmals nicht, um Bewerber anzulocken
Bei Stefan Peter, der in Viechtach im Osten Bayerns eine Schreinerei führt, reicht die Maßnahme nicht, um Fachkräfte anzuwerben. „Das Werben nur mit der 4-Tage-Woche hilft nicht viel“, sagte er der WirtschaftsWoche. In seinem Betrieb arbeiten die Angestellten bereits seit zweieinhalb Jahren nur noch von Montag bis Donnerstag, dafür aber 9,75 Stunden pro Tag. Weil es aktuell aber nahezu unmöglich sei, überhaupt Schreier zu finden, müsse er neben der 4-Tage-Woche noch weitere Vorzüge bei der Bewerbung betonen. Dazu zählen beispielsweise eine übertarifliche Bezahlung, Betriebsrenten oder regelmäßige Firmenevents.
Die genannten Fälle bedeuten aber nicht, dass sich die Einführung einer 4-Tage-Woche für Handwerksbetriebe generell nicht lohnt. „Die vereinbarten Wochenstunden werden auf vier Tage verteilt, bei gleichem Lohn“, sagte Gerd Kistenfeger. „Es mag durchaus ein Argument sein, dass Fachkräfte solche Betriebe mit solchen Arbeitsmodellen bevorzugen.“ Ob die Maßnahme für das jeweilige Unternehmen zielführend sei, müsse jeder Betriebsinhaber selber entscheiden.
Insgesamt sieht der Sprecher der Handwerkskammer der Region Stuttgart keine allgemein gültige Lösung für den aktuellen Fachkräftemangel. „Nach Abwägung aller Aspekte entscheidet ein Arbeitnehmer, ob ihm die Arbeitswelt in der Industrie oder im Handwerk zusagt“, sagte er gegenüber BW24. „Dies belegen die vielen Beispiele von Menschen, die von einem Bereich in den anderen gewechselt haben, also vom Handwerk in die Industrie oder von der Industrie ins Handwerk.“