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Staatssekretär im Exklusiv-Interview: „Müssen beim Ausbau erneuerbarer Energien Tempo machen“

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Von: Jason Blaschke

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Teure Energiepreise belasten Wirtschaft und Verbraucher. Für Baden-Württemberg erklärt Staatssekretär Andre Baumann, wie die Übergangslösungen aussehen.

Stuttgart - Verbraucher und Wirtschaft ächzen unter teuren Energie-, Lebensmittel- oder auch Spritpreisen. In den vergangenen Wochen hatten im Gespräch mit BW24 gleich mehrere Verbände bestätigt, dass die massiven Verteuerungen in fast allen Bereichen gerade die vielen kleineren und mittelständische Betriebe massiv belasten. Neben der Energie seien auch Dinge wie Futter- und Düngemittel „enorm im Preis gestiegen“, sagte Eckhard Heuser vom Milchindustrie-Verband (MIV).

Teure Energiepreise belasten Wirtschaft – neue Versorgungsengpässe drohen

Der Experte ist sich sicher, dass viele Milchprodukte noch teurer werden. „Mit Blick auf die Butter sind schon starke Veränderungen festzustellen, der Rest kommt noch – spätestens zum 1. Juli 2022.“ Noch deutlicher wird Solveig Schneider vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Sie kann mit Blick auf die teils massiven Verteuerungen für die Herstellung von Süßigkeiten Versorgungsengpässe für einzelne Produkte nicht ausschließen.

In allen Gesprächen wurde deutlich, dass die teuren Energiepreise und die Angst vor einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland die Unternehmen stark belasten. Allerdings könnte die aktuelle Krise in der Energiepolitik auch ein Umdenken anregen und für sehr wirtschaftsstarke Regionen auch eine Chance im Hinblick auf erneuerbare Energien sein.

Andre Baumann, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft
Staatssekretär Andre Baumann stellt im Interview mit BW24 klar, dass die Energiewende „gehörige Anstrengungen“ erfordert. © Umweltministerium/Regenscheit

Staatssekretär Baumann im Interview: „Energiewende erfordert Anstrengungen“

Im Interview mit Jason Blaschke von BW24 spricht Staatssekretär Andre Baumann (MdL) vom Umweltministerium in Baden-Württemberg über die Problematik. Welche ehrgeizigen Ziele die grün-schwarze Landesregierung verfolgt, was passiert, wenn es zu Gasengpässen kommt und wie man sich in Baden-Württemberg energiepolitisch neu aufstellen will:

Möglichst schnell weg vom Gas und hin zu erneuerbaren Energien – wie kann das aus Ihrer Sicht gelingen, ohne Wirtschaft und Verbraucher finanziell stark zu belasten?

Wir müssen uns da ehrlich machen: Ja, die Energiewende erfordert gehörige Anstrengungen, und sie kostet auch. Aber „keine“ Energiewende und damit „kein“ Klimaschutz – das wird unbezahlbar. Schon heute investieren wir Millionen und Milliarden, um auf die Folgen des Klimawandels zu reagieren – Stichwort Hitzewellen, Dürren, Starkregen, Flutkatastrophen. Deshalb müssen wir beim Ausbau der Erneuerbaren Tempo machen.

Viele Haushalte, aber auch Unternehmen, sind noch stark vom Gas abhängig. Stellt das gerade Baden-Württemberg vor eine große Herausforderung?

Im Moment ist die Versorgungssicherheit nicht gefährdet. Falls es tatsächlich zu einer Gasmangellage kommen sollte, greifen Mechanismen, für die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zunächst die Netzbetreiber zuständig sind und in einer hohen Eskalationsstufe dann auch die Bundesnetzagentur als sogenannter Bundeslastverteiler.

Energiewende in Baden-Württemberg: „Flüssiggas für Übergang notwendig“

Viele Verbraucher und Unternehmen in Baden-Württemberg können die teureren Energiepreise nicht mehr so lange stemmen. Wie sehen hier die Übergangslösungen aus?

Vor dem Hintergrund des fürchterlichen Kriegs in der Ukraine steigen die Preise für Öl, Kohle und Gas, das ist richtig. Umso wichtiger ist der schnelle Ausbau der Erneuerbaren – auch aus energiewirtschaftlicher Sicht. Für den Übergang werden aber auch Gaskraftwerke notwendig sein, die perspektivisch auf grünen Wasserstoff umgestellt werden sollen. Kurzfristige Hilfen müssen primär auf Bundesebene geregelt werden. 

In den vergangenen Wochen wurde viel über Flüssiggas als Alternative gesprochen. Ist es aber nicht sehr umweltschädlich, wenn wir unser Gas aus Übersee einschiffen lassen?

Wir reden aktuell über eine Notlage und über eine begrenzte Zeit. Flüssiggas ist für den Übergang notwendig, um kein Gas aus Russland beziehen zu müssen. Umso wichtiger ist der Ausbau der Erneuerbaren, die sind günstiger und klimafreundlicher.

Aber wäre es dann nicht besser, stärkere finanzielle Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien zu schaffen, statt auf solche Übergangslösungen?

Bei uns im Land gilt die PV-Pflicht. Und auch bei der Windkraft oder bei der Freiflächen-Fotovoltaik arbeiten wir mit einer neu gegründeten „Task Force erneuerbare Energien“ konsequent und mit Nachdruck daran, dass die Menschen von grünem und günstigem Strom profitieren werden. Die laufende Novelle des EEG wird auch die Anreize für den Ausbau wieder stärken.

Staatssekretär Andre Baumann

Doktor Andre Baumann MdL wurde 1973 in Heidelberg geboren und ist in Schwetzingen aufgewachsen, wo er auch heute mit seiner Familie lebt. Seit Mai 2021 ist er Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft von Baden-Württemberg – schon von Mai 2016 bis Januar 2020 hatte er diesen Posten inne. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Energiepolitik des Landes sind zwei seiner zentralen Themen.

Tesla-Tempo beim Energieausbau in Baden-Württemberg: Baumann benennt konkrete Pläne

Immer wieder gibt es Kritik, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien im Land zu langsam vorangeht. Jüngstes Beispiel sind die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen 1.000 Windräder, die laut Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der aktuellen Legislaturperiode nicht zu schaffen sind. Wie sehen Ihre Pläne aus, um hier mehr Tempo zu machen?

Die Task Force arbeitet mit Hochdruck daran, die Projektierungsdauer für Windenergieanlagen künftig mindestens zu halbieren, damit mehr Anträge gestellt und so mehr Anlagen genehmigt werden können. Da sind wir bereits vorangekommen, zum Beispiel mit der Abschaffung des sogenannten Widerspruchsverfahrens, der Optimierung der Behördenstruktur, der begonnenen Planungsoffensive, der ersten zwei Tranchen zur Vermarktung von Staatswaldflächen oder der Schaffung eines Infrastruktursenats.

Und die 1.000 neuen Windräder?

Wir wollen in Baden-Württemberg die Voraussetzungen schaffen, dass möglichst viele Windräder gebaut werden können, vor allem auch im Staatswald. Dazu benötigen sie vor allem Flächen – die sollen auch mit einem Mindest-Flächenziel von zwei Prozent erreicht werden, das im vergangenen Jahr im Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg verankert wurde.

Einer Auswertung von „energiewende.baden-wuerttemberg.de“ ist zu entnehmen, dass das Land große Mengen Strom importiert. Aber ist es mit Blick auf die Klimaneutralität nicht das Ziel, dass wir unseren Strom selbst produzieren?

Baden-Württemberg als Industriestandort ist und wird wohl auch in Zukunft Stromimportland bleiben. Aber dann soll vor allem Strom aus erneuerbaren Quellen importiert werden. Dazu brauchen wir dringend den Netzausbau und da vor allem die Fertigstellung der großen Stromtrassen aus dem Norden Deutschlands, wie zum Beispiel Suedlink. Aber natürlich ist es das Ziel, auch selbst so viel wie möglich erneuerbaren Strom zu erzeugen.

Im Interview macht Baumann zudem klar, dass die aktuelle energiepolitische Lage den Fahrplan zur Klimaneutralität in Baden-Württemberg bis 2040 nicht gefährden wird. Im Gegenteil, der Experte sieht die aktuelle Lage als Chance für eine neue Dynamik, die den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen kann. „Je früher man sich aus der fossilen Abhängigkeit Russlands befreien kann, umso besser für Deutschland.“

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