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Machtmissbrauch bei der Arbeit: „Man hat kein Recht auf einen freundlichen Chef“

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Von: Max Müller

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Til Schweiger in einer Szene des Films „Manta Manta - Zwoter Teil“: Bei den Dreharbeiten soll es zu Gewalt am Set gekommen sein.
Til Schweiger in einer Szene des Films „Manta Manta - Zwoter Teil“: Bei den Dreharbeiten soll es zu Gewalt am Set gekommen sein. © Bernd Spauke/dpa

Wann ist ein Arbeitsumfeld toxisch? Diese Frage muss durch die Veröffentlichungen um Til Schweiger neu verhandelt werden. Experten sagen, wann Grenzen überschritten sind – und was Betroffene tun können.

Köln – Die Vorwürfe gegen Til Schweiger wiegen schwer. Der Schauspieler und Regisseur („Manta Manta“, „Keinohrhasen“, „Honig im Kopf“) soll bei Dreharbeiten ausgerastet sein, Mitarbeiter schikaniert haben und in einem Fall auch handgreiflich geworden sein. Dazu sei er oft betrunken gewesen. So hat es der Spiegel Ende April dargestellt. Schweiger widersprach den Vorwürfen über seine Anwältin.

Die Rede ist von einem „Klima der Angst“. Eine Umschreibung, für die so manche Arbeitnehmer vermutlich keine nähere Erläuterung braucht. Toxische Personen, die ihre Macht missbrauchen, ausfällig werden, Arbeitszeiten dehnen und ihre Mitarbeiter an den Rand der körperlichen und mentalen Belastung treiben. Großküchen, Baustellen, Bundeswehr – es gibt einige Branchen, denen nachgesagt wird, dass es hart zugeht. Doch wann wird eine Grenze überschritten? Was können Betroffene tun? Warum fällt es vielen Menschen so schwer, für ein besseres Arbeitsklima einzustehen, Missbrauch zu melden und gegen Gewalt aufzustehen?

Machtmissbrauch im Job: Til Schweiger kein Einzelfall

Dass diese Vorwürfe publik werden und eine Diskussion anstoßen, ist für Jan Jurczyk von der Gewerkschaft Verdi zuallererst mal ein Zeichen, dass man heute viel sensibilisierter mit derlei Themen umgeht. An sich neu sei das alles nämlich nicht, sagt Jurczyk. „Der Fall Schweiger steht beispielhaft für das Phänomen Machtmissbrauch, das sich ganz unterschiedlich äußert: Mobbing, Bossing, toxische Typen – das sind alles Begriffe für problematische Zustände in Unternehmen, die es schon immer gab, aber anders benannt wurden.“

Beispiele? „Das reicht von der Spitzengastronomie, wo schon mal etwas durch die Gegend fliegt, über gesetzeswidrige Überwachung von Untergebenen in Umkleideräumen eines Einzelhandelsunternehmens bis hin zu Dienststellen der Polizei, in denen es immer wieder Klagen über Mobbing gab und gibt. Das zeigt auch: Es müssen nicht unbedingt gewinnorientierte Unternehmen sein“, so Jurczyk.

Ob profitorientiert, gemeinwohlorientiert, Dax-Konzern oder Familienunternehmen: Wie umgehen mit Fällen von Grenzüberschreitung? In der „Causa Schweiger“ sprach sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth für einen Verhaltenskodex („Code of Conduct“) aus. Das wäre nur der Anfang, sagt Verdi-Sprecher Jurczyk. „Eine externe Anlaufstelle ist wichtig, um Machtmissbrauch einzudämmen. Jenseits der Filmbranche bietet das Betriebsverfassungsgesetz eine wirksame Handhabe. Mit der Wahl eines Betriebsrats wird eine Anlaufstelle innerhalb eines Unternehmens geschaffen, um im geschützten Rahmen Probleme anzusprechen. Das schließt Machtmissbrauch und Übergriffe nicht völlig aus, kann aber bei deren Eindämmung helfen.“

Arbeitsrechtler zum Fall Schweiger: Grenzen sind eigentlich klar definiert

Wie das in der Praxis aussehen kann, weiß Michael Fuhlrott. Er ist Jurist und spezialisiert auf Arbeitsrecht. Seine Einschätzung mag überraschen: „Sicherlich gibt es verschiedene Wesensarten, auch bei Vorgesetzten. Aber auch, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht anschreien lassen muss: Ein Arbeitnehmer hat kein Recht auf einen netten oder besonders freundlichen Chef.“

Entscheidend sei die Frage, inwiefern der Chef oder die Chefin selbst kontrolliert wird. „Das extreme Beispiel ist hier der Manager auf einer mittleren Führungsebene in einem Konzern, der seinerseits gegenüber Vorgesetzten sein Verhalten rechtfertigen muss im Vergleich zu dem Gesellschaftergeschäftsführer eines kleineren Unternehmens, der über sich keine Vorgesetzten hat und das Unternehmen so ‚regiert‘, wie er allein es für richtig hält“, so Fuhlrott.

Dennoch gibt es rechtlich klar definierte Grenzen, wann das Verhalten eines Vorgesetzten zu weit geht, erklärt der Experte. Ein klares Tabu sind zum Beispiel Diskriminierungen wegen Alter, Geschlecht oder Religion. Auch Beleidigungen („Idiot“, „Schwachkopf“, „Blödmann“) sind jenseits des Erlaubten. „Theoretisch besteht die Möglichkeit, den Vorgesetzten deswegen anzuzeigen oder vor einem Zivilgericht eine Unterlassungsverfügung zu erreichen“, sagt Fuhlrott. Ein heikles Unterfangen, denn: „Es versteht sich von selbst, dass ein solches Vorgehen mit Bedacht überlegt und nicht vorschnell gewählt werden sollte, da es naturgemäß zu Belastungen im Arbeitsverhältnis führen kann.“

Gedehnte Arbeitszeiten: Wo kein Kläger, da kein Richter

Eine klare Grenzüberschreitung, im wahrsten Sinne des Wortes, sind außerdem Arbeitsanweisungen, die gegen Gesetze verstoßen. Klassisches Beispiel: Die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden an einem Tag wird soll überschritten werden. Fuhlrott: „Eine Weisung, an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten oder ‚solange zu bleiben, bis ‚die Sache fertig ist‘, ist rechtswidrig. Der Arbeitnehmer muss diese nicht befolgen.“ Im Fall Schweiger scheint das nicht passiert zu sein. Betroffene schilderten dem Spiegel, dass die gesetzlichen Ruhezeiten, laut Tarifvertrag mindestens elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen, wiederholt unterschritten worden seien.

Das zeigt, wo das wahre Problem liegt. Es geht um die Durchsetzung. Wenn niemand etwas meldet, passiert auch nichts. Laut Spiegel liegt keine Anzeige gegen Schweiger vor, die Anschuldigungen sind anonym erhoben worden. Ein Vorgehen, das aus juristischer Perspektive schwierig ist. „Stets unberechtigt ist das Einschalten der Presse durch den Arbeitnehmer, um etwaige Missstände bei seinem Arbeitgeber aufzuklären oder Druck auf den Arbeitgeber auszuüben“, erklärt Fuhlrott. „Ein solches Verhalten kann eine fristlose Kündigung nach sich ziehen.“ Eine Maßgabe, an die sich nach Darstellung des Spiegels mehr als 50 Filmschaffende nicht gehalten haben.

Die Produktionsfirma Constantin Film will nun mögliche Vorfälle am Set durch eine externe Kanzlei aufklären lassen.

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