VfB-Boss Wehrle will die Trendwende: „Wenn man sich keine Ziele setzt, hat man etwas falsch gemacht“
Der VfB Stuttgart steckt nach dem Last-Minute-Klassenerhalt in der Vorsaison erneut tief im Abstiegskampf. Doch wie konnte es dazu kommen? Und wo will der Klub in Zukunft hin? VfB-Vorstandsboss Alexander Wehrle hat mit BW24 exklusiv darüber gesprochen.
Stuttgart - Es ist eine Saison zum Vergessen für den VfB Stuttgart. Der dritte Abstieg innerhalb von sieben Jahren droht, die finanziellen Folgen wären gravierend. Zusätzlich zu dieser sportlich schwierigen Lage sind die Schwaben in eine Identitätskrise gerutscht. Viele Fans fragen sich: Wofür steht der VfB eigentlich?
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Mit Sebastian Hoeneß steht schon der vierte Trainer an der Seitenlinie des VfB Stuttgart
Derzeit eher für einen Bundesligisten, der fast verzweifelt gegen die Entwicklung hin zu einer Fahrstuhlmannschaft ankämpft und der deshalb lieber einmal zu oft den marktüblichen Schleuderstuhl in Gang setzt. Immerhin entzog man mit Pellegrino Matarazzo, Michael Wimmer und Bruno Labbadia in dieser Saison schon drei Trainern das Vertrauen. Sebastian Hoeneß ist bereits der vierte Coach, der die schwäbische Rettungsmission angeht.
Der ständige Wechsel an der Seitenlinie steht im starken Kontrast zu den zweieinhalb Jahren davor, in denen Matarazzo meist fest im Sattel saß. Eine in heutigen Zeiten außergewöhnliche Kontinuität, gerade beim VfB, auf die Ex-Sportdirektor Sven Mislintat wahrlich stolz war. Trotzdem entließ dieser Matarazzo noch höchstpersönlich, bevor er das in seinen Augen nicht ausreichende Angebot zur Vertragsverlängerung ausschlug und den VfB ebenfalls verließ.

Sven Mislintats Anteil an der Krise des VfB Stuttgart
Doch wer ist eigentlich schuld am Stuttgarter Abwärtstrend? Mislintat jedenfalls, der als Entdecker von späteren Weltstars wie Robert Lewandowski oder Ousmane Dembele bekannt ist, hat auch beim VfB sein Diamantenauge bewiesen und zahlreiche Talente an den Neckar gelotst. Transfers wie Gregor Kobel (heute Borussia Dortmund), Hiroki Ito, Wataru Endo, Sasa Kalajdzic (Wolverhampton Wanderers) oder auch die Verpflichtung der aktuellen Stuttgarter Lebensversicherung, Serhou Guirassy, gehen auf sein Konto.
Dennoch hat Mislintat eklatante Fehler gemacht, die zur aktuellen Situation beitragen. So muss er sich die grundsätzliche Frage gefallen lassen, ob ein Kader, der aus zu vielen unausgereiften Talenten bestand, für den Abstiegskampf gemacht ist. Dazu gehört, dass er es versäumt hat, die Lücke zu füllen, die Gonzalo Castro hinterließ. Mislintats Hoffnung, dass Talente wie Lilian Egloff, Enzo Millot oder Naouirou Ahamada (Crystal Palace) den Abgang des Routiniers konstant kompensieren könnten, erfüllte sich jedenfalls nicht.
VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle im Zentrum der Kritik
Der Transferpolitik von Mislintat fehlte es also ein Stück weit an Balance. Mitgetragen wurde diese aber auch, zumindest im vergangenen Sommer noch, vom Vorstandsvorsitzenden Alexander Wehrle, der die Verantwortung für den VfB Stuttgart trägt. Seit etwas mehr als einem Jahr ist der gebürtige Schwabe im Amt und aufgrund der andauernden sportlichen Talfahrt sowie manch einer umstrittenen Entscheidung prasselte bereits massig Kritik auf ihn ein.
Einordnend muss man an dieser Stelle jedoch erwähnen: Das Erbe, das Wehrle damals antrat, war alles andere als ein leichtes. Immerhin übernahm er das Zepter von der Vereinslegende Thomas Hitzlsperger, der zu dieser Zeit bei den Fans ebenfalls in Ungnade gefallen war, trotzdem aber gemeinsam mit Mislintat für die kontinuierliche „Jung-und-wild“-Philosophie stand, die stets gefeiert wurde.
Von Erfolg war dieser Weg bei Wehrles Amtsantritt zwar längst nicht mehr gekrönt. Dennoch hatte sich das sympathische Image, für Kontinuität und eine junge sowie aufstrebende Mannschaft zu stehen, bei den Fans verfestigt. So sehr, dass man in Teilen sogar bereit war, sportlichen Misserfolg in Kauf zu nehmen. In diesem Zusammenhang erscheint es fast logisch, dass Wehrles Weg, den VfB zunächst mit aller Macht in der Liga halten zu wollen, bei Fans keinen Beliebtheitspreis gewinnt.

Wehrle war davon überzeugt, dass Bruno Labbadia mit dem VfB Stuttgart der Klassenerhalt gelingt
Vor allem die Verpflichtung Bruno Labbadias wurde von Beginn an kritisch gesehen, obwohl der erfahrene Coach schon mehrfach bewiesen hatte, dass er Abstiegskampf kann. Zur jungen, auf Offensivfußball ausgerichteten Stuttgarter Mannschaft, hat Labbadia, der gerne auch mal einen strengeren Ton gegenüber den Spielern anschlägt, jedoch tatsächlich nicht gepasst.
Sebastian Hoeneß hat natürlich ein paar Sachen verändert, wie es jeder neue Trainer macht. Von den Trainingsinhalten und der Trainingssteuerung her, aber natürlich auch was die Ansprache betrifft.
In der damaligen Phase war Wehrle aber, darauf legt er wert, von Labbadia voll und ganz überzeugt, weshalb er nicht von einem Fehler sprechen will. Das muss er auch nicht, denn die jetzige Verpflichtung von Labbadias Nachfolger Sebastian Hoeneß, die er gemeinsam mit Sportdirektor Fabian Wohlgemuth beschloss, spricht Bände. Denn Hoeneß verkörpert das komplette Gegenteil dessen, wofür Labbadia stand.
Gegenüber BW24 sagte VfB-Boss Wehrle über den neuen Trainer: „Er hat natürlich ein paar Sachen verändert, wie es jeder neue Trainer macht. Von den Trainingsinhalten und der Trainingssteuerung her, aber natürlich auch was die Ansprache betrifft. So wie er die Jungs mitnimmt, auch vielleicht die, die momentan nicht zur ersten Elf gehören, aber noch eine wichtige Rolle spielen können.“

VfB-Chef Wehrle: „Scheint, dass die Chemie zwischen Sebastian Hoeneß und der Mannschaft stimmt“
Seit drei Partien ist Hoeneß im Amt, dreimal ging der VfB nicht als Verlierer vom Platz. Stattdessen führte der Coach den VfB ins Pokalhalbfinale, zum ersten Auswärtssieg nach einem Jahr und vier Monaten sowie zu einem irren 3:3-Last-Minute-Remis gegen Meisterschaftsanwärter Borussia Dortmund. Wehrle: „Es scheint momentan so, dass die Chemie zwischen Sebastian Hoeneß und der Mannschaft stimmt.“
Ob Hoeneß tatsächlich der Klassenerhalt gelingt, bleibt allerdings abzuwarten. Sollte Stuttgart aber, wie schon in der vergangenen Saison, gerade so noch die Kurve bekommen, stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Vor kurzem sagte Wehrle bereits, es dürfe „keine dritte Saison so geben“ und man müsse „die richtigen Konsequenzen ziehen.“

VfB Stuttgart soll keine Fahrstuhlmannschaft werden – Wehrle: „Nicht 30 von 34 Spieltagen zwischen dem 14. und 18. Platz aufhalten“
Gegenüber unserer Redaktion präzisierte der VfB-Chef jetzt, wo er den Klub in Zukunft sehen möchte: „Der Anspruch des VfB Stuttgart ist es, eine gesicherte Bundesligasaison zu spielen und eben nicht gegen den Abstieg. Wir wollen uns nicht 30 von 34 Spieltagen zwischen dem 14. und 18. Platz aufhalten. Das muss mittelfristig die Zielsetzung sein.“
Statt einer Fahrstuhlmannschaft will Wehrle aus dem VfB also einen gestandenen Bundesligisten machen. Eine Mammutaufgabe, mit der namhafte Konkurrenten wie Hertha BSC, Schalke 04 oder Werder Bremen ebenfalls zu kämpfen haben. Dass dies keine „einfache“ Aufgabe ist, ist Wehrle bewusst. „Weil wir aus einer Zeit kommen, in der wir zwei Zweitligajahre hinter uns haben und es finanziell erhebliche Einbußen gab“, betont der Vorstandsboss. Trotzdem gibt er sich im Gespräch mit unserer Redaktion kämpferisch: „Wir sind im Sport. Wenn man sich da keine Ziele setzt, die nicht einfach, jedoch erreichbar sind, dann hat man sowieso etwas falsch gemacht.“