Wer Pizza Hawaii isst, begeht ein kulinarisches Verbrechen
Entweder man hasst sie oder man liebt sie: Keine Pizza ist so umstritten wie die Pizza Hawaii. Unsere Autorin findet: Auf die krude Mischung von Obst und Schinken könnte man getrost verzichten.
Stuttgart - Normalerweise ist ein Zusammentreffen meiner Großfamilie ein freudiges Event. Sobald allerdings Pizza bestellt wird, findet die Harmonie ihr jähes Ende. Dann tun sich zwei Lager auf, die sich erbittert bekämpfen. Denn natürlich setzt meine Cousine die verhasste Pizza Hawaii auf die Liste. Während mein Cousin und ich sofort intervenieren, verteidigt die Schinken-Ananas-Fraktion den gottlosen Belag. Am Ende setzt sich die Grusel-Kombi zu meinem Entsetzen doch wieder durch. Abnehmer gibt es reichlich. Laut einer Umfrage ist Pizza Hawaii sogar die zweitbeliebteste Pizza in Deutschland. Ich finde: Wer als Pizzabäcker etwas auf sich hält, sollte dieser Modeerscheinung den Rücken kehren.
Mit meiner Antipathie gegen die deftig-süße Geschmacksverirrung stehe ich wahrlich nicht alleine da. Erst kürzlich bezeichnete ein preisgekrönter Pizzabäcker aus Deutschland die Pizza Hawaii als „Todsünde“. Als Dessert könne die Tropenfrucht okay sein – aber nicht als Belag. „Das passt nicht. Wie Schnitzel mit Nutella“, so der Experte. „Ich weiß, dass viele Deutsche die Ananas-Pizza Hawaii mögen.“ Als amtierender Pizza-Weltmeister ist er sich allerdings bewusst: „Wenn ich die mache, muss ich den Titel abgeben.“ Kann ein Mann, der die weltbeste Pizza bäckt und sein Handwerk bis ins letzte Detail optimiert hat, irren? Ich sage: Nein.
Pizza Hawaii ist als Zufallsprodukt entstanden – „alle waren verrückt danach“
Weniger ist mehr. Gerade, wenn es um Pizza geht. Dünner, saftiger Teig, schmackhafte Kruste, cremiger Käse, Tomatensugo und Basilikum. Ende. Nicht umsonst gilt die klassische Pizza Margherita als Lieblingspizza der Italiener. Ein Rezept, dessen Ursprung bis ins Jahr 1889 zurückgeht, mit einem zuckrig-glitschigen Obst zu belegen, grenzt an ein Verbrechen.

Blickt man auf die Geschichte der Pizza Hawaii, so wird deutlich, dass es sich um ein Zufallsprodukt handelt. 1962 kam der in Kanada ansässige Gastronom Sam Panopoulos auf die Idee, mit dem Belag auf seinen Pizzen zu experimentieren. Sein Ziel: Pizzen zu verkaufen, die mit wenig Aufwand viel hermachen sollten. „Wir warfen auch ein paar Stücke Ananas auf die Pizza“, erinnert er sich Jahrzehnte später. „Zuerst mochte das niemand. Nach einer Weile waren alle verrückt danach, weil damals niemand Süßes und Saures kombinierte.“ Verrückt ist tatsächlich ein gutes Stichwort. Wer Pizza Hawaii konsumiert, kann zweifelsohne nicht klar bei Sinnen sein.
Neapolitanische Pizza ist Weltkulturerbe – Pizza Hawaii wird es dazu niemals bringen
Die heute weit verbreitete Pizzavariante mit Tomatensoße und Käse als Basis stammt vermutlich aus Neapel. Seit 2017 wird die neapolitanische Pizza von der UNESCO sogar als immaterielles Kulturerbe der Menschheit geführt – und das zurecht. Denn sie benötigt nicht mehr als Tomaten, Mozzarella, Basilikum und Parmesan. Niemals wird eine Pizza Hawaii, auf die sich fehlgeleitete Otto Normalverbraucher im Tiefkühlregal stürzen, einen solchen Status erreichen. Stilnote: Ungenügend! Besser würde sich die fragwürdige Pizzavariante auf einer Liste mit dem Titel „Abgründe der Menschheit“ machen.
Ein Image-Problem hat die Pizza Hawaii derzeit nicht nur wegen ihres „exotischen“ Geschmacks. Eine Gruppe linker Aktivisten fordert die Umbenennung von Pizza Hawaii und Toast Hawaii aufgrund „kolonialistischer Stereotype“. Egal, wie man es dreht und wendet: Die Kombination von Schinken und Ananas verheißt nichts Gutes. Und sie gehört definitiv nicht in ein Pizzarestaurant. Von mir aus sollen die Geschmacksverirrten sich in Supermärkten mit Tiefkühl-Pizza-Hawaii eindecken bis zum Umfallen. Auf meinem Teller wird diese kulinarische Entgleisung nicht stattfinden.