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Medizinprodukte-Engpass droht: „Menschen sterben, wenn sich nicht etwas tut“

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Von: Jason Blaschke

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OP-Material, Implantate oder Pflaster könnten bald Mangelware werden, wenn die Medizinprodukte-Verordnung nicht geändert wird – Zehntausende Produkte sind betroffen.

Brüssel – Krieg in Europa, gestörte Lieferketten in der Corona-Pandemie oder auch Missernten infolge vermehrter Hitzewellen – die Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig. Längst sind es nicht mehr nur die ganz großen Konzerne, die immer wieder über fehlende Bauteile klagen. Auch die Verbraucher erreicht beinahe täglich eine Meldung über ein Alltags-Produkt, das von heute auf morgen knapp werden könnte.

Neue Medizinprodukte-Verordnung gefährdet Patienten – Engpässe drohen

Zu Beginn der Kämpfe in der Ukraine war es zunächst das knappe und teure Speiseöl, das über Wochen Schlagzeilen machte. Und aktuell droht Deutschland eine Nudel-Knappheit, weil eine wichtige Zutat nicht mehr zuverlässig geliefert wird. Doch Bauteile und Alltags-Lebensmittel sind nicht die einzigen Produkte, deren Wegfall schwere Folgen nach sich ziehen kann. Gerade in der Medizin können sich Engpässe katastrophal auswirken – und sogar Menschenleben kosten.

Genau ein solcher Engpass droht, wenn sich Berichten der BILD zufolge die europäische Medizinprodukte-Verordnung nicht ändert. Diese schreibt vor, dass bis Mai 2024 rund 20.000 Medizinprodukte neu zertifiziert werden müssen, damit sie auch künftig weiter in der EU vertrieben werden können. Das Problem ist, dass laut dem Bundesverband Medizintechnologie in zwei Jahren maximal 13.000 Bescheinigungen für neue Zertifizierungen ausgestellt werden können.

Experten in Sorge – etwa 40 Prozent der Produkte von Engpässen bedroht

Die Folge wäre, dass etwa 40 Prozent der medizinischen Bestandsprodukte vom Markt verschwinden könnten. Dazu zählen neben wichtigen Medizinprodukten für Chirurgie und Intensivmedizin auch Dinge wie Herzschrittmacher, Pflaster, Brillen, Röntgen-Geräte oder Kondome. Experten haben große Sorgen, dass primär medizinische Nischenprodukte, die nicht in Massen gelagert werden, in Zukunft von solchen Engpässen betroffen sein könnten.

Doch gerade auf solche Nischenprodukte sind Fachärzte – etwa in Universitätskliniken – zwingend angewiesen, weiß Professor Dr. Matthias Gorenflo von der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler in Heidelberg. „Menschen werden sterben, wenn sich nicht etwas tut“, sagte er der BILD und warnte vor drohenden Engpässen infolge der Medizinprodukte-Verordnung. Zusätzlich zum bürokratischen Aufwand kommen enorme Kosten auf die Produzenten zu.

Menschen werden sterben, wenn sich nicht etwas tut.

Professor Dr. Matthias Gorenflo, Klinik für Kinderkardiologie Heidelberg

Teuer und langwierig – Zertifizierung stellt Produzenten vor große Probleme

Der Bundesverband Medizintechnologie teilt mit, dass sich die Kosten für eine Zertifizierung für ein Medizinunternehmen zwischen 300.000 und 500.000 Euro bewegen. Solche Verfahren zur Zertifizierung würden etwa 18 Monate andauern und rund 10.000 Seiten an Bürokratie nach sich ziehen. Neben Gorenflo sind deshalb viele Experten mit Blick auf die neue Medizinprodukte-Verordnung in der EU alarmiert – und hoffen auf Nachbesserung.

Eine Frau und ein krankes Mädchen auf einem Sofa.
Durch die neue Medizinprodukte-Verordnung drohen Engpässe vieler wichtiger Utensilien - wodurch Patienten gefährdet werden könnten (Symbolbild). © picture alliance / photothek

„Durch die Einschränkung von Innovationen werden Todesfälle produziert“, sagt etwa Professor Dr. Wolfram Lamadé vom Helios-Klinikum in Pforzheim der BILD. Und Professorin Dr. Ruth Kirschner-Hermanns von der Urologie Bonn warnt, dass sich Ärzte noch wundern werden, was sie demnächst nicht mehr alles auf den OP-Tischen finden. Kritik, die in Brüssel offenbar ankommt. Die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler möchte nachjustieren.

EU-Politiker reagieren auf Mediziner-Kritik: Neuer Zertifizierungsvorschlag

Niebler zu BILD: „Zertifizierungen, welche bisher nach der alten Medizinprodukte-Verordnung erteilt wurden, sollen auch nach der neuen Richtlinie ohne Enddatum gültig sein.“ Die Voraussetzung solle aber sein, dass die Produkte nicht verändert werden und es keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Medizinprodukt nicht mehr sicher sei. Drohende Engpässe mit Blick auf Medizinprodukte könnten damit also noch abgewendet werden.

Die Engpässe in der Lebensmittelindustrie stattdessen werden die Verbraucher wohl noch eine Weile beschäftigen – und damit auch die immer teureren Preise. Jüngst hatte erst eine Studie zur Entwicklung der Lebensmittel-Preise ergeben, dass den Bürgern das Schlimmste wohl erst noch bevorsteht. Auch, weil viele Produzenten ihre gestiegenen Kosten noch nicht ganz an die Kunden weitergegeben haben.

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