„Der Markt hat sich geändert“: Nüchternes Stuttgart löst hippes Berlin als Start-up-Hauptstadt ab
Dass Stuttgart der Sitz mehrerer Weltunternehmen ist, ist bekannt. Laut einer aktuellen Studie ist die Schwaben-Hauptstadt aber auch der optimale Nährboden für Start-ups.
Stuttgart - Die Landeshauptstadt Stuttgart ist vor allem aufgrund der außerordentlich starken Automobilindustrie bekannt. Mit Mercedes-Benz, Porsche und Bosch haben gleich drei der wichtigsten Unternehmen der Branche ihren Hauptsitz in der Stadt. In der Metropolregion Stuttgart, in der rund 5,5 Millionen Menschen leben, sind mit Stihl, Kärcher oder auch Hugo Boss noch viele weitere bedeutende Firmen angesiedelt. Obwohl Stuttgart beim Aufbau einer Start-up-Szene sehr engagiert ist, gilt die Schwaben-Metropole nicht unbedingt als Keimzelle für die Unternehmer von morgen.
Dass Gründer mit ihren großen Ideen bevorzugt in die ganz großen Millionenstädte – oder bestenfalls gleich in die Hauptstadt – wandern, ist kein Geheimnis. Berlin verspricht nicht nur künstlerische Entfaltung und Kreativität an allen Ecken und Enden, sondern kann auch unzählige Unternehmen vorweisen, die mit diesem Schritt bereits Erfolg hatten. In einer aktuellen Studie, die die Startbedingungen für Start-ups in den großen deutschen Städten genauer unter die Lupe genommen hat, landet die hippe Bundeshauptstadt aber nur auf dem zehnten Platz: Ganz vorne findet sich dagegen das ach so biedere Stuttgart.
Stuttgart mausert sich zur Start-up-Hauptstadt, wie Studie unter deutschen Großstädten zeigt
Wie bereits gesagt, ist Stuttgart vor allem für die starke Wirtschaft und dadurch für besonders große Arbeitgeber bekannt. Die aufblühende Start-up-Szene kann aber eine Alternative zur Festanstellung sein, wie Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Zuge der „Start-up Night BW“ im vergangenen Jahr gegenüber BW24 erklärte. „Start-ups sind extrem wichtig für unseren Wirtschaftsstandort“, sagte die Politikerin. „Wir brauchen die frischen Ideen der Gründerinnen und Gründer.“ Unterschätzt wird dabei aber offenbar gerade die Landeshauptstadt. „Stuttgart kommt einem nicht als Erstes in den Sinn, wenn man an Start-ups denkt“, sagte Ann-Kathrin Stärkel vom Start-up Flip gegenüber der WirtschaftsWoche. „Die schwäbische Mentalität passt erst mal nicht zur Start-up-Denke.“
Rang | Stadt | BIP pro Kopf | Gewerbesteuer in Prozent | Anzahl Büroräume | Durchschnittsgehalt pro Monat | Lebenerhaltungskosten | Durchschnittsmiete | Events für Gründer | Zufriedenheit | Lebensqualität |
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1 | Stuttgart | 90.518 | 14,7 | 39 | 3.425 Euro | 862 Euro | 964,23 Euro | 285 | 6,80 | 180,66 |
2 | Düsseldorf | 81.563 | 15,4 | 58 | 3.058 Euro | 900 Euro | 1.032,06 Euro | 432 | 6,98 | 179.71 |
3 | Frankfurt | 94.190 | 16,1 | 94 | 3.317 Euro | 979 Euro | 1.126.60 Euro | 468 | 6,82 | 177,77 |
4 | München | 79.690 | 17,2 | 115 | 3.369 Euro | 983 Euro | 1.355,84 Euro | 409 | 7,06 | 181,70 |
5 | Hamburg | 64.771 | 16,5 | 92 | 3.175 Euro | 951 Euro | 1.024,38 Euro | 263 | 6,96 | 177,56 |
6 | Nürnberg | 60.711 | 16,4 | 15 | 2.711 Euro | 841 Euro | 691,11 Euro | 112 | 7,06 | 175,82 |
6 | Karlsruhe | 65.518 | 15,1 | 6 | 2,661 Euro | 893 Euro | 680,00 Euro | 46 | 6,80 | 189,86 |
7 | Essen | 43.365 | 16,8 | 16 | 3.081 Euro | 843 Euro | 900,00 Euro | 141 | 6,98 | 195,45 |
8 | Mannheim | 67.775 | 15,1 | 9 | 2.952 Euro | 869 Euro | 701,67 Euro | 122 | 6,80 | 171,09 |
9 | Dresden | 40.524 | 15,8 | 11 | 2.458 Euro | 803 Euro | 544 Euro | 98 | 6,69 | 198,45 |
10 | Berlin | 40.105 | 14,4 | 131 | 3.018 Euro | 957,60 Euro | 1.287 Euro | 773 | 6,53 | 161,45 |
(Quelle: Business Name Generator/WirtschaftsWoche)
Neben Flip selbst, das Kommunikationsapps für Kunden wie Porsche oder Rewe baut, gibt es aber noch weitere Stuttgarter Start-ups, die das Gegenteil beweisen. Das Start-up „RückMal“ will mit Schuhen für Tische Rückenschmerzen den Kampf ansagen und das Start-up „Hydrop Water Systems“ will ein Bewusstsein für Wasserverschwendung schaffen. Auch „TechTinyHouse“ hat seinen Ursprung in Stuttgart, den Sitz inzwischen aber nach NRW verlegt. „Das hat den Grund, dass wir in Stuttgart ewig nach einer Produktionshalle gesucht haben und nichts finden konnten“, hatte Gründer Brendan Thome gegenüber BW24 erklärt. Das bedeutet aber nicht, dass Stuttgart kein Nährboden für innovative Start-ups ist, im Gegenteil, wie die Studie von Business Name Generator zeigt.

Start-up-Gründer aus Stuttgart haben meistens Erfahrung aus Unternehmen
In der Studie erreicht Stuttgart den ersten Platz und punktete dort vor allem beim hohen Bruttoinlandsprodukt und der niedrigen Gewerbesteuer. „Der Markt hat sich geändert“, sagte Stärkel der WirtschaftsWoche. „Die Finanziers setzen nicht mehr nur auf Wachstum um jeden Preis, sondern auch auf solide Geschäftsmodelle, die schnell profitabel werden können.“ In Berlin gehöre das Gründen „oft auch ein bisschen zum Lifestyle“, führt die Flip-Gründerin aus, die selbst eine Zeitlang in der Bundeshauptstadt gearbeitet hat. In Stuttgart hätten die Gründer dagegen meistens schon ein paar Jahre Erfahrung in Unternehmen gesammelt.
Ein Beweis dafür ist die ehemalige Mercedes-Managerin Sandra Hermann, die ihren Job beim Weltkonzern aufgegeben hatte, um Menschen mit ihrem Start-up „foodtprint“ für gesundes Essen zu begeistern. Dass Stuttgart tatsächlich eine Keimzelle für wegweisende Ideen sein kann, zeigt nicht nur das Automobil – das bekanntlich in der Stadt erfunden wurde – sondern auch eine ganze Reihe an weiteren Erfindungen „Made in Stuttgart“ (und der Region):
- Die Fliegenklatsche: Im schwäbischen „Muggenbadscher“ wurde 1953 vom Stuttgarter Unternehmer Erich Schumm erfunden und ist bis heute in ursprünglicher Form in Gebrauch.
- Das Motorboot: Gottlieb Daimler hat seinen schnelllaufenden Einzylinder-Motor nicht nur für das erste Auto verwendet, sondern auch für ein Holz-Boot, das damit 1886 zum ersten Motorboot wurde.
- Der Hochdruckreiniger: Die Firma Kärcher ist heute zwar in Winnenden ansässig, Gründer Alfred Kärcher stammt aber aus dem heutigen Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt. Er entwickelte 1950 den ersten Heißwasser-Hochdruckreiniger.
- Die Ein-Mann-Motorsäge: Die frühen Motorsägen mussten von mehreren Personen bedient werden, Andreas Stihl machte dem 1950 ein Ende und erfand die erste Ein-Mann-Motorsäge. Das Unternehmen Stihl ist bis heute Weltmarktführer.
- Der Büstenhalter: Ähnliche Kleidungsstücke gab es zwar schon in der Antike, der Korsettfabrikant Sigmund Lindauer aus Bad-Cannstatt hat den „BH“ 1912 aber salonfähig gemacht. Seine Erfindung löste damals die unbequeme Korsage ab.
- Das Windkraftwerk: Heute im Rahmen der Energiewende in aller Munde, erfunden in den 1950er Jahren vom Stuttgarter Professor Ulrich W. Hütter, der einen wegweisenden Prototypen entwickelte.
- Die Bohrmaschine: Emil Fein entwickelte in Stuttgart 1895 die erste handgeführte elektrische Bohrmaschine und zuvor übrigens auch den elektrischen Feuermelder (1875) und das erste tragbare Telefon (1885).
(Quelle: Region Stuttgart)
Obwohl es heute natürlich schwieriger ist, etwas vollkommen Neues zu erfinden, ist es absolut nicht unmöglich, wie viele Erfolgsgeschichten aus Deutschland zeigen. Stuttgart bietet Neugründern seit Mitte Dezember eine Pop-up-Fläche, in der Ideen vorgestellt und auch direkt angeboten und verkauft werden können.