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Trend an Grundschulen prägt Kinder lebenslang - wie ihre erschreckenden Aussagen zeigen

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Von: Anna-Lena Schüchtle

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Ein kleines Mädchen blättert in einem Buch
In der Grundschule werden Kinder fürs Leben geprägt © Unsplash /Jonathan Borba

Die Entwicklung und Grundschulen bereitet Experten Sorge: „Das ist schlimm und kann krasse Folgen auf ihre Bildungslaufbahn haben“.

Stuttgart - Die Erziehung der Kinder ist in Baden-Württemberg noch immer Frauensache - das könnten Betrachter zumindest annehmen, wenn sie einen Blick auf die Schulstatistik werfen, die nun vom Statistischen Landesamt in Stuttgart veröffentlicht wurde. Derer nach waren im Südwesten etwa 74 Prozent, also Dreiviertel der 94.965 Lehrer, die im Schuljahr 2019/2020 an öffentlichen Schulen unterrichtet haben, Frauen - der Männeranteil lag also bei gerade mal 26 Prozent.

Baden-Württemberg: Bedenklich hoher Frauenanteil unter Grundschullehrern hat Folgen für Kinder

Besonders auffällig ist dabei, dass sich bei der Anteilsverteilung ein Unterschied zwischen den einzelnen Schularten ergibt. So ist die Anzahl der männlichen Lehrkräfte an Gymnasien (38 Prozent) und Gesamtschulen (40 Prozent) zwar immer noch niedriger als die ihrer weiblichen Kollegen, jedoch weit höher als beispielsweise an Grundschulen und Werkreal- beziehungsweise Hauptschulen (14 Prozent) sowie an sonderpädagogischen Einrichtungen (20 Prozent).

Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg im Schuljahr 2019/20: Anteil Frauen

Lehrer an öffentlichen SchulenGesamtFrauenanteil (gerundet)
Grund- und Werkreal-/Hauptschulen31.748\t86 Prozent
Sonderpädagogische Einrichtungen9.692\t80 Prozent
Realschulen15.94667 Prozent
Gymnasien24.78362 Prozent
Gemeinschaftsschulen12.35674 Prozent
Schulen besonderer Art (Gesamtschulen)44060 Prozent
Gesamt94.96574 Prozent

Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Schon lange wird aufgrund des hohen Frauenanteils in Lehrämtern von der sogenannten „Feminisierung der Schulen“ gesprochen, die angeblich einen Nachteil für männliche Schüler bedeutet. Diese, so die Annahme, brauchen ein männliches Vorbild, mit dem sie sich identifizieren können und das stärker auf sie und ihre Bedürfnisse eingeht.

Frauen wiederum könnten aufgrund ihrer Erfahrungen und ihrer Weiblichkeit mit männlichen Impulsen nicht wertschätzend und anerkennend arbeiten und dies auch nicht im Rahmen von Aus- und Fortbildung verändern. Vielmehr stünden sie Jungen fremd gegenüber und scheiterten mit ihren Erziehungsversuchen dadurch zwangsläufig“, beschreibt die Handreichung „Männer ins Grundschulamt“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Annahme, die in diverser Fachliteratur vertreten wird.

Alltag an Grundschulen in Baden-Württemberg: Fehlen männliche Lehrkräfte als Vorbilder für Jungen?

Aber: Mehrere Studien, etwa die Berliner ELEMENT-Studie, belegen, dass das Geschlecht der Lehrkraft keine Auswirkungen auf die Kompetenzen, Noten und Übergangsempfehlungen von Schülern hat. Zudem wird die angebliche Notwendigkeit eines männlichen Lehrers für Jungen sogar eher kritisch betrachtet, da er dadurch im Schulalltag die klare Rolle als Mann und nicht nur als Pädagoge einnehmen würde.

„Für die Kinder, die die Grundschule besuchen, bedeutet eine [...] zweigeschlechtliche Ordnung [...] die Konfrontation mit Geschlechternormen und Geschlechterhierarchien“, wie es in der GEW-Handreichung heißt. Im Klartext: Die Kinder lernen bereits in der Grundschule klare Rollenbilder kennen, die von geschlechterspezifischen Stereotypen geprägt sind - etwa den männlichen Sportlehrer und die weibliche Handarbeitslehrerin.

Das Problem: Kinder werden in ihrer Wahrnehmung und ihrem Weltbild ebenfalls stark beeinflusst, wenn sie (fast) ausschließlich von weiblichen Pädagogen unterrichtet werden, weshalb der Ruf nach männlichen Grundschullehrern immer lauter wird. Beispiele dafür nennt Christoph Fantini gegenüber dem ZDF. Der Initiator des Projekts „Männer in die Grundschule“ befragte gezielt Grundschüler, was ihrer Meinung nach der Grund dafür sei, dass es nur so wenige männliche Lehrer an Grundschulen gibt. Eine der Antworten: „Mit kleinen Kindern arbeiten ist nichts für Männer“.

„Da bringen die Kinder die stereotypen Annahmen zum Ausdruck, die man vielleicht erwarten könnte, so nach dem Motto: Mit den kleinen Kindern arbeiten, das ist nichts für Männer, das machen Frauen“, erklärt Christoph Fantini die Aussagen der Grundschüler. Und weiter: „Die radikalste Antwort, die wir in verschiedenen Äußerungen der Kinder gehört haben war, dass es daran liege, dass Frauen klug seien und Männer stark. Wenn man weiß, dass neunjährige Jungs für sich aus der Wirklichkeit die Erkenntnis ableiten, schlau sein ist Mädchensache, ist das natürlich schlimm und kann krasse Folgen auf ihre Bildungslaufbahn haben“.

Nur wenige männliche Lehrkräfte an Grundschulen in Baden-Württemberg - Auswirkungen auf die Kinder

Eine derart unausgewogene Geschlechterverteilung bei Lehrern ist jedoch kein Phänomen, das nur in Baden-Württemberg zu beobachten ist. Auch auf Bundesebene war der Anteil männlicher Pädagogen (27 Prozent) im Schuljahr 2018/2019 laut Statistischem Bundesamt sehr niedrig. Zudem handelte es sich bei fast 90 Prozent aller an Grundschulen beschäftigten Lehrkräfte um Frauen - nur jeder fünfte Grundschullehrer war demzufolge ein Mann.

Über die Gründe für den niedrigen Anteil männlicher Lehrer wird immer wieder diskutiert. Eine wichtige Rolle spielt unter Umständen die gute Vereinbarkeit mit der Familie, die das Grundschullehramt mit sich bringt. Dies würde auch den hohen Anteil an teilzeitbeschäftigten Frauen erklären. Ein weiterer Grund könnte nach Ansicht von Ilka Hoffmann von der GEW zudem das über Jahrhunderte gewachsene Rollenbild von Männern und Frauen sein, das sich bis heute in den Köpfen der Menschen festgesetzt hat.

„Wir haben immer noch sehr starre Geschlechterklischees in unserer Gesellschaft und eines der Klischees ist: Mit kleinen Kindern beschäftigen sich Frauen, mit größeren Kindern beschäftigen sich Männer“, erklärte das GEW-Vorstandsmitglied in einem Bericht vom ZDF. Außerdem: „Männer gucken dann - und das entspricht natürlich auch dem Klischee des Familien-Ernährers - auf die Bezahlung. Damit verbinden sie auch die Wertschätzung ihres Berufs. Und Grundschullehrkräfte sind von allen Lehrkräften am schlechtesten bezahlt“.

74 Prozent aller Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg sind Frauen

Wegen des Coronavirus in Baden-Württemberg herrschen an den Schulen derzeit strenge Vorschriften, um zumindest nahezu einen Regelbetrieb zu gewährleisten. Dennoch gibt es immer wieder Berichte von ganzen Schulklassen, die bereits kurz nach dem Ende der Sommerferien in Quarantäne mussten. Sowohl für die Schüler als auch die Lehrkräfte stellt dies eine enorme Belastung dar.

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