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„Warum Gendersprache scheitern wird“: Stuttgarter Youtuberin erklärt Sprach-Dilemma

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Von: Sina Alonso Garcia

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Während die Debatte ums Gendern immer gereizter wird, bemüht sich die Stuttgarter Youtuberin Alicia Joester um einen sachlichen Dialog. In einem Video erklärt sie die Nachteile des Genderns.

Stuttgart - Seit einiger Zeit befeuert die Gender-Debatte den öffentlichen Diskurs in Deutschland. Der Vorschlag der Befürworter: Gendersternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte sollen männliche Formen in der Sprache durch weiter gefasste Begriffe ersetzen - und Frauen sowie Intersexuelle mit einbeziehen. Während beispielsweise Journalisten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits Gendersprache nutzen, findet diese in der Gesellschaft wenig Zustimmung. Aktuellen Umfragen von Infratest Dimap zufolge lehnen fast zwei Drittel der Deutschen das Gendern ab.

In einer so sensiblen Debatte wie der um gendergerechte Sprache gehen sachliche Argumente häufig unter empörten Aufschreien unter. Die Youtuberin und Videoproduzentin Alicia Joester aus Stuttgart schafft es jedoch in einem aktuellen Video, das Thema völlig unaufgeregt aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu erörtern - und trifft damit offenbar einen Nerv. Innerhalb weniger Tage wurde das Video auf ihrem Kanal „Alicia Joe“ bereits von mehr als einer halben Million Menschen gesehen.

Alicia Joe zum Gendern: Aktuell verbreitete Varianten „schlecht durchdacht“ bis „problematisch“

„Ich bin grundsätzlich positiv gestimmt gegenüber dem Versuch, neben der Gesellschaft auch die Sprache gerechter zu gestalten“, stellt Alicia Joe gleich zu Beginn des knapp 30-minütigen Videos klar. „Gleichzeitig halte ich die aktuell verbreiteten Varianten des Genderns für schlecht durchdacht bis hin zu problematisch.“ Dem Ziel vieler Gender-Befürworter, Gendersprache irgendwann flächendeckend mit einer Rechtschreibreform einzuführen, stehe die Problematik gegenüber, dass eine einheitliche Form, zu Gendern, teilweise nicht möglich sei.

„Was machen wir im Genitiv Singular oder Akkusativ Plural?“, fragt Alicia Joe. „Das Buch des/der Schüler*s*in gebe ich an die Gruppe von Schüler*n*innen?“ Auch bei ohnehin geschlechtsneutralen Bezeichnungen wie „der Gast“ oder „die Person“ stellt Alicia Joe die Frage in den Raum, ob Ableitungen wie „die Gästin“ oder „der Personer“ wirklich sinnvoll sind.

Alicia Joe
In ihrem Video über Gendersprache legt Alicia Joe anhand sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse dar, wieso die Art, wie aktuell gegendert wird, wenig Sinn macht. © Alicia Joe/Youtube (Screenshot)

„Wenn ihr euch mal mit solchen grundlegenden Fragen befasst habt, werdet ihr schnell merken, dass Personen in Podcasts oder im Fernsehen extrem inkonsequent gendern - wahrscheinlich, weil es ihnen selbst zu kompliziert ist.“ Anhand von kruden Beispielen aus Behördentexten oder Geschäftsordnungen zeigt Alicia Joe, wie Gendern nicht nur zu wirren, sondern auch zu schlichtweg fehlerhaften Formulierungen führen kann.

Alicia Joe zum Gendern: „Für Minderheiten wirklich diskriminierend“

In ihrem Video geht Alicia Joe auch auf den Vorschlag des Sprachforschers Lann Hornscheidt ein. Dieser forderte, anstelle des Gender-Gaps die Endung „ens“ einzuführen. „Ens“ ist der Mittelteil aus Mensch und soll laut Hornscheidt als genderneutrale Neuschöpfung etabliert werden. Statt Leser hieße es demnach „Lesens“, statt Hörer „Hörens“ und so weiter. Ens könne außerdem ein Pronomen oder Possessivpronomen sein, so Hornscheidt. Statt „sein Einkaufswagen“ könne man „ens Einkaufswagen“ sagen. Alicia Joe kann darüber nur den Kopf schütteln. „Wenn das Wort ens für ein, sein, mein und dein steht, könnte das unter Umständen ganz schnell lebensbedrohlich werden. Wenn es dann heißt: Ens Tante liegt in ens Keller und hat ens Schlaganfall - wessen Tante liegt dann in wessen Keller?“

Im weiteren Verlauf ihrer Abhandlung geht die Youtuberin auch auf das Argument ein, dass Gendern der Diskriminierung von Minderheiten - beispielsweise Transpersonen - entgegenwirke. „Gendern kann im Gegenzug für andere Minderheiten diskriminierend werden“, gibt sie zu bedenken. Dass gendergerechte Sprache auch an Hochschulen auf dem Vormarsch ist, werde vor allem Menschen, die noch nicht so lange Deutsch sprechen, zum Verhängnis. An einer Universität in Kassel ließen Professoren etwa kürzlich das Gendern in die Benotung von Hausarbeiten einfließen. „Gerade Schülern und Studenten mit Migrationshintergrund, Lese-Rechtschreibschwäche oder Sehbehinderung kann die akademische Laufbahn somit massiv erschwert werden - und das ist wirklich diskriminierend.“

Alicia Joe zum Gendern: Das ist ihr Vorschlag zur Lösung des Dilemmas

Alicia Joe fasst zusammen: „Das korrekte Einführen einer Gendersprache, wie wir sie aktuell vermehrt sehen, ist vermutlich unmöglich.“ Um langfristig eine einheitliche Sprache zu gewähren, bräuchte man eine bundesweite Rechtschreibreform. Nachdem sie in ihrem Video zahlreiche weitere Argumente liefert, die die Tücken des Genderns aufzeigen, bietet sie einen eigenen Lösungsvorschlag an. „Ich will mir nicht anmaßen, sprachwissenschaftlich oder soziologisch zu entscheiden, was die beste Lösung ist, um Sprache zu gendern. Aber was ich weiß ist, dass viele Formen des Genderns daran scheitern, dass sie zu kompliziert sind und keinen Anklang in der Bevölkerung finden.“

Ihr Vorschlag: Sämtliche sogenannte Movierungen aus der deutschen Sprache zu streichen - sprich: Begriffe wie „Lehrer“ zukünftig auch für weibliche Personen zu nutzen und den Begriff „Lehrerin“ zu streichen. Unterscheidungen könne man zukünftig mit Adjektiven treffen - beispielsweise „der männliche Lehrer“ oder „der weibliche Lehrer“. Alicia Joe räumt ein: „Natürlich bräuchte es für so eine Umstellung eine gewisse Umgewöhnungszeit.“ Im Vergleich zu vielen anderen Gender-Methoden sei es jedoch „relativ simpel“.

Immer wieder sorgten bekannte Persönlichkeiten für Zündstoff im Streit ums Gendern. Literaturkritikerin Elke Heidenreich bezeichnete das Gendern als „grauenhaft“ und auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann positionierte sich gegen eine „Sprachpolizei“.

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