Karriere-Expertin über Berufswechsel: „Arbeitgeber öffnen sich zunehmend für Quereinsteiger“
Immer mehr Arbeitgeber wechseln in ihrem Arbeitsleben nicht nur Job und Arbeitgeber, sondern auch Branche und Berufsfeld. BW24 hat mit HR-Expertin Leonie Tholey über die Karrierechancen eines Quereinstiegs gesprochen.
Karlsruhe - Neue Berufsfelder und Branchen erkunden, seine Fähigkeiten erweitern und sich neuen Herausforderungen stellen: Ein Quereinstieg mag viele zuerst abschrecken, kann aber eine große Chance auf einen Neuanfang in Job und Karriere bieten. Natürlich läuft ein Branchen- und Jobwechsel nicht ohne Hindernisse ab. Ein Quereinstieg erfordert oft das Erlernen neuer Fähigkeiten und den Erwerb von Fachwissen in einem neuen Bereich. Das kann sich aber sowohl finanziell als auch karrieretechnisch lohnen, wie Leonie Tholey, HR- und Recruiting-Expertin beim Karlsruher Personalvermittler Workwise, im Gespräch mit BW24 verrät.

„Während vor 30 Jahren der Job vor allem noch Mittel zum Zweck war, wollen viele Menschen heute etwas tun, womit sie sich identifizieren und womit sie etwas bewegen können“, sagt die Expertin im Interview. BW24 hat mit Leonie Tholey unter anderem über die Möglichkeiten gesprochen, die ein Quereinstieg für Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber bereithält.
Recruiting-Expertin über Quereinstieg: „Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich beruflich neu zu orientieren“
Wie erklären Sie sich, dass immer mehr Arbeitnehmer die Branchen wechseln und nicht im erlernten Beruf bleiben?
Unzufriedenheit im Job ist an sich nichts Neues. Solche Phasen haben auch schon unsere Eltern und Großeltern durchlebt. Aber es gibt mittlerweile eine Reihe an Faktoren, die dazu führen, dass wir nicht mehr so bereit sind, in dieser Unzufriedenheit zu verharren.
Zum einen hat sich der Arbeitsmarkt stark verändert – und tut es immer noch. Durch Digitalisierung, Globalisierung und Co. verlieren einige Berufe an Bedeutung, während neue Berufe oder sogar ganze Branchen entstehen und an Attraktivität gewinnen. Das führt dazu, dass wir uns neue Fähigkeiten und Wissen aneignen und damit steigt auch die Chance, dass wir nicht für immer im gleichen Job bleiben. Gleichzeitig leben wir heute in einem Arbeitnehmermarkt, in dem Jobsuchende stark umworben werden. Es gibt also einfach sehr viele Möglichkeiten, sich beruflich neu zu orientieren.
Auch spielen Dinge wie Purpose, also das Erfahren von Sinnhaftigkeit und persönlicher Erfüllung im Beruf mittlerweile eine wichtige Rolle. Während vor 30 Jahren der Job vor allem noch Mittel zum Zweck war, wollen viele Menschen heute etwas tun, womit sie sich identifizieren und womit sie etwas bewegen können. Wer nach der Schule oder einem Studium in den Beruf startet, weiß vielleicht noch gar nicht so genau, was er oder sie möchte. Sie erkennen, dass ihre Fähigkeiten und Kenntnisse durch die Vernetzung unserer Arbeitswelt heute in vielen Bereichen anwendbar sind und entscheiden sich später vielleicht für einen Karrierewechsel.
Ebenfalls wichtig: viele Unternehmen erkennen mittlerweile, dass eine grundsätzliche Motivation, sich in neue Sachverhalte hineinzudenken und eigenständig zu lernen, wichtiger ist, als jahrelange Vorerfahrung. Auch Arbeitgeber öffnen sich deshalb zunehmend für Quereinsteiger. Das macht den Karrierewechsel natürlich einfacher. Dass es heute mehr Quereinsteiger gibt, hängt also mit sehr vielen Faktoren zusammen, von denen ich hier auch nur ein paar genannt habe.
Ist ein Quereinstieg für jeden das Richtige?
Jeder Quereinstieg und jede Lebenssituation sind einzigartig, deshalb lässt sich die Frage nicht pauschal beantworten. Ich würde empfehlen, das immer individuell abzuwägen. Wer einen Quereinstieg in Betracht zieht, sollte auf jeden Fall offen für Neues sein und eine hohe Lernbereitschaft mitbringen. Man sollte bereit sein, sich an neue Situationen anzupassen und aus seiner Komfortzone auszubrechen. Wer diese Eigenschaften mitbringt, und sich bewusst ist, dass ein Karrierewechsel durchaus auch Aufwand bedeutet, kann enorm daran wachsen.
Natürlich spielen auch Dinge wie das Gehalt und persönliche Umstände eine wichtige Rolle. Je nachdem, wohin Quereinsteiger wechseln, kann das Gehalt durch die niedrigere Qualifikation erstmal geringer als beim vorherigen Job sein. Darüber sollte man sich vorher also gut informieren und gegebenenfalls Rücklagen bilden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Karrierewechsel, bei denen das umgekehrt ist: wo man also nach einem Quereinstieg in eine andere Branche mehr Gehalt bekommt.
Grundsätzlich ist ein Quereinstieg eine spannende Möglichkeit, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Die Entscheidung sollte aber immer gut überlegt sein und bedarf einer gründlichen Selbstreflexion. Nur so kann man sichergehen, dass man bereit ist, sich den Herausforderungen zu stellen.
Berufswechsel durch Quereinstieg: „transferierbare Fähigkeiten“ bei Karrierewechsel ideal
Quereinsteiger sind vor allem da gefragt, wo der Fachkräftemangel hoch ist.
Eignen sich manche Branchen bessere als andere für einen Quereinstieg?
Besonders gut für einen Quereinstieg eignen sich Berufe und Branchen, in denen mehr transferierbare Fähigkeiten als spezifische Fachkenntnisse gebraucht werden. Also Fähigkeiten, die sich auf verschiedene Jobs und Situationen übertragen lassen, wie beispielsweise Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Verhandlungsgeschick oder auch kritisches Denken. Dazu zählen Berufe im Kundenservice, Vertrieb, Gastronomie, Transport und Logistik, aber auch im Bildungswesen oder der Pflege. Schwieriger wird der Einstieg in Branchen, in denen man sehr viel fachspezifisches Wissen braucht oder die eine umfangreiche Ausbildung erfordern. Also beispielsweise Medizin, Pharmazie, Recht oder auch das Banken- und Finanzwesen.
Auch in der IT-Branche ist spezifisches Fachwissen gefragt. Wer hier aber wirklich motiviert und interessiert ist, kann sich enorm viel selbst beibringen. Natürlich gibt es spezielle IT-Berufe, für die in der Regel ein Informatik-Abschluss benötigt wird. Allerdings entstehen hier auch stetig neue Berufsfelder, in denen ein Einstieg auch ohne Abschluss möglich ist. Zudem sind IT-Spezialisten durch die digitale Transformation heute in nahezu jedem Bereich gefragt. Ein Quereinstieg kann hier also sehr gut funktionieren, wenn man sich selbst schon mit dem Thema beschäftigt. Auch wir bei Workwise haben beispielsweise einen Entwickler im Team, der gar keine IT-Ausbildung oder -Studium hat. Er hatte sich selbst schon so viel beigebracht und so ein großes Interesse mitgebracht, dass er heute zu unseren besten Entwicklern zählt.
Wo sind Quereinsteiger derzeit gefragt?
Quereinsteiger sind vor allem da gefragt, wo der Fachkräftemangel hoch ist. Dazu zählen beispielsweise die Pflegebranche, pädagogische Berufe, das Bildungswesen oder auch die IT-Branche. Auch Arbeitgeber in „klassischen“ Quereinsteiger-Branchen, wie der Gastronomie und Dienstleistungsbranche suchen händeringend nach Personal. Relativ neu und auch stark vom Fachkräftemangel betroffen ist die Solarbranche. Gerade Personen mit Handwerkserfahrung haben hier gute Chancen auf einen Quereinstieg. Grundsätzlich gilt: je weniger Fachkräfte, desto offener sind Unternehmen für Quereinsteiger.
Welche Vorteile hat ein Quereinstieg für Arbeitnehmer?
Quereinsteiger profitieren vor allem von der steilen Lernkurve. Sie sammeln neue Erfahrungen und lernen noch einmal ganz andere Tätigkeiten und ein neues Arbeitsumfeld kennen. Nicht nur fachlich, sondern auch persönlich können Quereinsteiger deshalb stark wachsen. Wer bereit ist, sich neuen Herausforderungen zu stellen, lernt viel über sich selbst und erhält neue Perspektiven. Oftmals traut man sich Aufgaben zum Beispiel nicht zu, einfach, weil man sie noch nie gemacht hat. Viele Leute sind überrascht davon, was sie eigentlich alles können, wenn sie sich erstmal in einer neuen Situation befinden.
Gleichzeitig kann der Quereinstieg auch ein höheres Gehalt, die Chance auf einen beruflichen Aufstieg oder allgemein bessere Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Das kommt ganz darauf an, in welche Branche man wechselt und wie schnell man hier Verantwortung übernimmt. Wer davor unglücklich im Job war, kann durch die berufliche Neuorientierung auch eine Erfüllung finden, die er oder sie im alten Beruf nicht verspürt hat. Ich kenne Menschen, die nach ihrem Quereinstieg wirklich glücklicher und zufriedener waren. Selbst wenn sie im neuen Job weniger verdient haben als zuvor.
Welche Vorteile ergeben sich für Arbeitgeber, wenn sie einen Quereinsteiger einstellen?
Arbeitgeber profitieren vor allem davon, dass Quereinsteiger eine neue Perspektive mitbringen. Sie haben nochmal einen ganz anderen Blick auf das Produkt, die Prozesse und das Unternehmen, und erkennen Dinge, für die man selbst vielleicht schon betriebsblind geworden ist. Unternehmen können mit Quereinsteiger also ebenfalls sehr viel dazu lernen. Zudem sind die meisten Quereinsteiger hoch motiviert, wollen sich beweisen und weiterentwickeln. Sie bringen eine hohe Lernbereitschaft mit und zeigen, dass sie bereit sind, sich an neue Situationen anzupassen – in einer Welt, in der sich alles rasend schnell verändert, ist das eine der wichtigsten Eigenschaften für Unternehmen.
Und natürlich bringen Quereinsteiger durch die verschiedenen Backgrounds und Denkweisen auch mehr Diversität ins Team. Dadurch entstehen neue Ideen, kreative Lösungsansätze und eine effektivere Problemlösung. Außerdem fördert Diversität im Team auch eine inklusive Unternehmenskultur.
Ich sehe in meinem Team selbst, wie wertvoll Quereinsteiger sind. Meine Kollegen waren früher zum Teil Fitnesstrainer, Lehrer oder Mechaniker. Jeder bringt ganz eigene Fähigkeiten mit, die er oder sie im täglichen Umgang mit unseren Kunden einsetzen kann. Das hat unser Team enorm bereichert. Was aber jedes Unternehmen bedenken sollte: damit Quereinsteiger möglichst schnell eigenständig arbeiten können, braucht es einen strukturierten und gut durchdachten Einlern-Prozess.
Interviewpartner Leonie Tholey
Leonie Tholey ist Expertin für HR und Recruiting. Sie hat Psychologie studiert und berät beim Karlsruher Personalvermittler Workwise Unternehmen aus ganz Deutschland dabei, wie sie passende Mitarbeiter finden und halten. Mithilfe einer ganzheitlichen Recruiting-Lösung und intelligentem Matching verhilft Workwise Kandidat:innen zu passenden Jobs und sorgt dafür, dass Unternehmen ihre Stellen langfristig besetzen.