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Thüringer Verhältnisse: Warum Linke und AfD so stark abschneiden – und wie die Ampel Höcke schaden könnte

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Von: Florian Naumann

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Antipoden: Bodo Ramelow (re.) und Björn Höcke im Thüringer Landtag.
Antipoden: Bodo Ramelow (re.) und Björn Höcke im Thüringer Landtag. © Steve Bauerschmidt/www.imago-images.de

Im Thüringer Landtag haben Linke und AfD die absolute Mehrheit. Experte Torsten Oppelland erklärt die Hintergründe – und warum die AfD mittelfristig wieder verlieren könnte.

Jena/München - Thüringen steckt seit Monaten in einer Regierungskrise. Und das liegt nicht nur an den handelnden Personen, sondern vor allem an einer so ungewöhnlichen wie brisanten Zusammensetzung im Landtag: Linke und AfD kamen bei der Wahl 2019 zusammen auf 54,4 Prozent der Stimmen - eine ungewöhnliche absolute Mehrheit für unvereinbare Pole des parlamentarischen Spektrums. Darunter nicht nur die sehr gemäßigte Linke von Bodo Ramelow, sondern eben auch die Thüringen-AfD des extremen Rechtsaußen Björn Höcke.

Schwer ist in jedem Fall unter diesen Vorzeichen die Mehrheitsfindung. Zum Vergleich: In Bayern kamen die beiden Parteien 2018 auf 14,4 Prozent, in Brandenburg 2019 auf 34,2 Prozent. Es ist also eine sehr spezielle Konstellation im kleinsten der drei deutschen Freistaaten. Wie sich auch bei der Bundestagswahl wieder bestätigte: Ende September wurde die AfD in Thüringen zur stärksten Kraft, trotz Beobachtung des Landesverbandes durch den Verfassungsschutz. Sehr zum Entsetzen der Konkurrenten - nicht zuletzt der CDU, die gleich mehrere Direktmandate einbüßte.

Für das sehr „spezielle“ Wahlverhalten gibt es Gründe; historische, personenbezogene und auch ganz aktuelle, wie der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland IPPEN.MEDIA in einem Expertengespräch erklärte. Er rechnete einerseits nicht mit einer einfachen Lösung durch Neuwahlen - allerdings hält er auch die zuletzt stabile Position der AfD nicht für dauerhaft zementiert.

Thüringen: AfD trotz Verfassungsschutz-Beobachtung zweistärkste Landtags-Kraft - „Das interessiert deren Wähler nicht“

Bei den Wahlergebnissen der Rechtspopulisten greife „etwas spezifisch Ostdeutsches“, erklärte Oppelland. Die AfD werde vor allem im ländlichen Raum gewählt. „Dort gibt es kleinere Ortschaften, auch kleinere Städte, bis hin an den Rand zur Großstadt, wie etwa Gera, in denen ein allgemeines Niedergangsgefühl herrscht. Die Jungen ziehen weg, nur die Alten bleiben, die Kindergärten werden geschlossen, Busse und Bahnen fahren nicht mehr so häufig“, erklärte er. „Da entsteht bei einigen das Gefühl, die Parteien, der Staat, ‚die da oben‘, kümmerten sich nicht und erfüllten nicht ihre Erwartungen. Das führt zu Vertrauensverlusten.“

Die Thüringer Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow wurde bundesweit bekannt, nachdem sie Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen hatte. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Resultat einer turbulenten Ministerpräsidentenwahl: Mit AfD-Stimmen wurde FDP-Mann Thomas Kemmerich kurzzeitig zum Regierungschef in Erfurt. © Martin Schutt

Auch die Einschätzung der AfD* als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz gehe bei den Thüringer Wählern „ins Leere“, konstatierte Oppelland. „Das interessiert die Wähler der AfD nicht“, obwohl gelte: „Viele von denen sind tendenziell rechts, aber nicht rechtsextrem.“ Von der Wählerschaft der Partei werde teils „der Verfassungsschutz als ‚Handlanger der politischen Führung‘ wahrgenommen - ganz abgesehen davon, dass die Ausgrenzungsmechanismen gegenüber der AfD ohnehin mit Misstrauen betrachtet werden.“ 

Thüringen: Ramelows „Kontinuitätslinie“ - PDS und Linke seit 1999 vorne und ein „politisches Talent“ an der Spitze

Zugleich greife ein allgemeiner Trend zur „Orientierung an Personen“. Den gebe es in ganz Deutschland - im Osten, wo es traditionell kaum Parteibindungen gebe, komme er aber besonders stark zur Geltung, erklärte der Politikwissenschaftler der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität: „Welche enorme Rolle das spielt, hat man jetzt auch in Mecklenburg-Vorpommern wieder gesehen.“ Die Tendenz sei in Thüringen allerdings noch etwas ausgeprägter, „weil in den vergangenen Jahren bis auf die Linke mit Bodo Ramelow alle Parteien ihr Führungspersonal ausgewechselt haben - und das geht in dieser Lage eben mit Verwerfungen einher, auch in der Wählerschaft.“

Womit der nächste Thüringer Sonderfall angesprochen ist: Der als Pragmatiker geltende Ramelow* ist der einzige Landesregierungschef der Linke in der Geschichte der Bundesrepublik. Eine Rolle spielt bei diesem Erfolg nach Ansicht Oppellands eine bis ins Jahr 1999 zurückreichende „Kontinuitätslinie“. Kurz vor der mittlerweile 22 Jahre zurückliegenden Landtagswahl habe sich die SPD über die Fortführung einer GroKo zerstritten - die damalige PDS wurde in der Folge erstmals „stärkste Kraft im linken Lager“.

„Bodo Ramelow wurde damals zum ersten Mal in den Landtag gewählt und hat sich sehr schnell als das größte politische Talent in dieser Fraktion herausgestellt. Er wurde in der Mitte der Legislatur auch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt“, rekapitulierte Oppelland. „Seitdem ist die Linke* stärker als die SPD, meistens sogar stärker als SPD und Grüne zusammen.“ Das könne durchaus auch in Zukunft so bleiben, deutete der Experte an - einem aktuellen Thüringer Umfrage-Einbruch der Linken zum Trotz.

AfD-Wahlerfolge in Thüringen: Experte hält Änderung „mittelfristig“ für möglich - „Kommt auch auf die Bundesregierung an“

Denn Anfang Oktober hatte eine Sonntagsfrage erdrutschartige Verschiebungen gezeigt* - die SPD etwa legte zweistellig zu, die Linke verlor in der Umfrage ihre Rolle als stärkste Kraft. Das scheine aber „eine Ausstrahlung der Bundestagswahl* zu sein“, erklärte Oppelland im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Vor einer hypothetischen baldigen Landtagswahl werde feststehen, „wer die Kandidaten der SPD sein werden, man wird sich stärker auf die Landesebene fokussieren, auch die Person Ramelows wird wieder eine stärkere Rolle spielen“.

Bleibt die mit einigem Schrecken behaftete Frage nach der Zukunft der AfD. „Die entscheidende Frage ist: Verfestigt sich ein AfD-Milieu - oder können die Verluste, die die CDU gerade erleidet, in drei oder fünf Jahren genauso gut die AfD treffen“, sagte der Experte. Einige Kollegen gingen davon aus, dass die AfD mittelfristig „sehr stabile“ Ergebnisse erzielen werde. Er sei sich in diesem Punkt „wirklich nicht ganz sicher“, meinte hingegen Oppelland.

„Die weitere Entwicklung kann auch davon abhängen, wie sich mittelfristig die Wirtschaftslage entwickelt“, betonte er. Oder auch davon, „ob die Wähler das Gefühl haben, eine neue Bundesregierung bringt frischen Wind für ihre Region“. Gelinge der neuen Regierung das, könnten auch die AfD-Ergebnisse in Thüringen wieder „volatiler“ werden, so die Einschätzung des Experten.

Die Augen ruhen also auch in Thüringen auf den Ampel-Koalitionsverhandlungen. Der Erfurter Landtag steht unterdessen weiter vor unruhigen Zeiten: In den kommenden Monaten muss Ramelows Minderheitsregierung einen Haushalt durch das Parlament bringen. Nach Ansicht Oppellands ein Knackpunkt: Gelinge das Vorhaben, seien „drei Jahre Durchwurschteln“ bis zum nächsten Wahltermin denkbar*. Scheitere Rot-Rot-Grün am Budget, seien aber auch schnelle Neuwahlen möglich. Dann gäbe es die Probe aufs Exempel - und die Antwort auf die Frage, ob Thüringens Landtag ein Sonderfall bleibt. (fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

 

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