Kirche nach Outing unter Druck - Queere Katholiken kämpfen für Rechte
Die katholische Kirche hält an ihrer konservativen Sexualmoral fest. Queere Beschäftigte setzen die Institution unter Druck, das zu ändern. Die Zeit ist günstig.
Berlin/Hamm - Die katholische Kirche fährt derzeit in besonders stürmischen Gewässern. Benedikt XVI. wird im Missbrauchsskandal der Lüge bezichtigt, inzwischen hat der emeritierte Papst eine Falschaussage* eingeräumt. Nun kocht ein weiteres mit Konflikten beladenes Thema hoch: die konservative Sexualmoral der Institution.
Unter dem Motto „#OutInChurch Für eine Kirche ohne Angst“ haben sich 125 Priester und andere Beschäftigte der katholischen Kirche als queer geoutet. Das passiert fast ein Jahr nach dem Outing von fast 200 Schauspielerinnen und Schauspielern. Als queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.
Katholische Kirchenmitarbeiter outen sich: Viel Zustimmung von innerhalb und außerhalb der Kirche
„#OutInChurch Für eine Kirche ohne Angst“ fand bereits nach kurzer Zeit viel Zustimmung. „Was für ein Mut!“, twitterte Sven Lehmann (Grüne*), der Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. 20 katholische Verbände und Organisationen, vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken über die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands bis zum Katholischen Deutschen Frauenbund, solidarisierten sich mit den Forderungen.

„Wir stellen uns ausdrücklich gegen Homophobie und fordern eine Kultur der Diversität in der katholischen Kirche“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. „Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten – seien es Hauptberufliche im kirchlichen Dienst oder Ehrenamtliche in Verbänden – aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen.“
Katholische Kirchenmitarbeiter outen sich: Evangelische Kirche ist bereits weiter
Auch einzelne Bischöfe stellten sich hinter die Bewegung. „Eine Kirche, in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann nach meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein“, sagte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Der als Reformer bekannte Bischof von Aachen, Helmut Dieser, meinte, Homosexuellen seien durch die Kirche „abgewertet und kriminalisiert“ worden. „Hier ist auch ein Schuldbekenntnis fällig“, so Dieser in der Kölnischen Rundschau (Montag). Daran arbeite man.
Die evangelische Kirche ist da schon weiter. Für jahrelange Ausgrenzung und Diskriminierung queerer Menschen hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz um Vergebung gebeten.
Katholische Kirchenmitarbeiter outen sich: Reform des kirchlichen Arbeitsrechts gefordert
Mit ihrem Outing fordern die Teilnehmer der Aktion auch eine Reform des Arbeitsrechts. „Die Gemeindereferentin, die ihre Freundin heiraten will, verliert ihren Job“, sagte Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm der Deutschen Presse-Agentur. Das könne im Jahr 2022 unmöglich so bleiben. Mönkebüscher hat sich laut dem kirchlichen Onlinemagazin Kirche+Leben bereits im Februar 2019 als homosexuell geoutet.
Die Chance für eine Veränderung steht gut. Thomas Schüller betont, dass die deutschen Bischöfe das kirchliche Arbeitsrechts ohne Zustimmung durch den Vatikan ändern können. Dem Kirchenrechtler zufolge wird das katholische Arbeitsrecht aktuell überarbeitet, mit einer eindeutigen Tendenz. „Mehrheitlich wünschen die Bischöfe und vor allem die übergroße Zahl der Generalvikare, die täglich mit der Untauglichkeit dieses Rechts zu kämpfen haben, dass sämtliche Loyalitätsobliegenheiten, die die persönliche Lebensführung betreffen, ersatzlos gestrichen werden“, sagt Schüller.
Katholische Kirchenmitarbeiter outen sich: Alter Zopf, der abgeschnitten gehört
Unterstützung für eine Reform kommt auch aus der Politik. „Das kirchliche Arbeitsrecht ist ein alter Zopf, er gehört abgeschnitten“, schreibt Bundestagsabgeordneter Lars Castellucci (SPD) auf Twitter. Damit hätten auch auf einen Schlag zahllose Mitarbeitende Zeit für die Aufgaben, für die Kirche eigentlich da zu sein hat, nämlich für den Dienst am Nächsten. „Die private Lebensführung im Rahmen von Recht und Gesetzen muss dagegen Privatsache sein und bleiben. Deshalb steht die Überprüfung des kirchlichen Arbeitsrechts auch im #Ampel-Koalitionsvertrag.“
Katholische Kirchenmitarbeiter outen sich: Queere Personen müssen versteckspielen
Das Festhalten der katholischen Kirche am traditionellen Familienbild hat für queere Menschen gravierende Folgen. Das zeigt das Beispiel von Monika Schmelter aus Lüdinghausen im Münsterland. Die 65-Jährige, die bei der Caritas* arbeitete, hat eine Beziehung zu ihrer heutigen Frau, einer Religionslehrerin, 40 Jahre lang verheimlicht. Sie hätten beide lange Anfahrtswege zu ihrer Arbeit in Kauf genommen, um nicht entdeckt zu werden, sagte Schmelter der Deutschen Presse-Agentur. Auch an ihrem Wohnort seien sie immer nur „dezent“ aufgetreten - nie als Liebespaar. „Das war sehr belastend.“
Als es irgendwann doch durchgesickert sei und sie sich ihrem Chef anvertraut habe, sei von dem die Ansage gekommen: „Wenn ich das weiter geheim halte, dann kann ich meinen Job behalten. Aber wenn ich das an meinem Dienstort offen gemacht hätte, hätte das zu meiner Kündigung geführt.“
2019 ging Monika Schmelter in Rente, ein Jahr später heirateten sie und ihre Partnerin Marie Kortenbusch. Jetzt wollen sie sich dafür einsetzen, dass anderen ein solcher Leidensweg erspart bleibt. Die Gelegenheit dafür erscheint ihnen günstig: „Die Kirche steht mächtig unter Druck, besonders seit der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens“, sagt Schmelter. „Die können sich eigentlich keinen weiteren Skandal leisten. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA