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Deutscher Wirtschaftsexperte hält zweiten Lockdown für verkraftbar - „müssen ehrlich und offen darüber reden“

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Von: Cornelia Schramm

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Eine Passantin mit Mund-Nasenschutz geht am Mittag am Kurfürstendamm an einer geschlossenen Karstadt-Filiale vorbei.
Lockdown in Deutschland: Szenen wie diese fürchten derzeit viele Wirtschaftsexperten. Doch einer sieht den Lockdown auch als Chance. (Archivbild) © Kay Nietfeld/ DPA/ Picture Alliance

Die Corona-Infektionszahlen steigen, Betriebe müssen schließen - viele Deutsche fürchten jetzt den zweiten Lockdown. Ein deutscher Ökonom aber hält ihn nicht für falsch.

Augsburg - Die Coronavirus-Pandemie* hält in Deutschland noch immer an, denn die Infektionszahlen steigen täglich. Für den Herbst fürchten viele Wirtschaftsexperten eine Insolvenzwelle eines bisher ungeahnten Ausmaßes - und das selbst ohne zweiten Lockdown. So warnte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft Bundeskanzlerin Angela Merkel* bereits vergangene Woche eindringlich vor den Folgen des erneuten Herunterfahrens der Wirtschaft und forderte gleichzeitig Mittelständler und Selbstständige dazu auf, einem abermals „überzogenem Infektionsschutz“ entschlossen entgegenzutreten.

Laut Angaben des Bundesverbandes befinde sich die deutsche Wirtschaft schon jetzt in miserablem Zustand, denn viele Betriebe hätten bereits ihre finanziellen Reserven aufgebraucht und würden daher einen zweiten Lockdown unmöglich überstehen. Auch für Lars Feld, Chef der „Wirtschaftsweisen“, steht fest, dass ein zweiter Lockdown in einer Katastrophe enden würde. Doch gegen die Schwarzseher bezieht nun Marcel Fratzscher, führender Ökonom und Chef des Deutschen Instituts für Wirtschafsforschung, Stellung. Für den Wirtschaftsprofessor wäre ein zweiter Lockdown unter bestimmten Bedingungen verkraftbar.

Leben mit Coronavirus: Fratzscher warnt vor Teufelskreis

Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen sieht auch Fratzscher die „große Pleitewelle für nächstes Jahr“ auf Deutschland zu rollen. Laut dem führenden Ökonomen könnte es zwei bis drei Jahre dauern, bis man sich wirtschaftlich wieder auf dem Vor-Corona-Niveau bewege. Gerade Firmen aus dem Einzelhandel oder Tourismus würden diese schwere Zeit vermutlich nicht überdauern können, so Fratzscher. Das Land würde sich verändern, etwa weniger Menschen würden reisen als vor Corona.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hält das Argument, wir könnten uns keinen zweiten Lockdown leisten, für falsch. (Archivbild) © Christoph Schmidt/ DPA/ Picture Alliance

Rund eine halbe Million der deutschen Unternehmen wären gerade stark verschuldet - und den Kurs der Bundesregierung, diese nicht in die Insolvenz zu treiben, hält Fratzscher für richtig. Gerade junge Unternehmen, denen nicht so leicht Kredite bewilligt werden, würden dadurch geschützt.

Dem Chef der DIW ist es wichtig, die deutsche Wirtschaft vor einem Teufelskreis zu bewahren, denn schon jetzt führe die allgemeine Unsicherheit ja dazu, dass Unternehmer Investitionen aufschieben und Konsumenten weniger Geld ausgeben würden. Genau vor diesem Fall warnt der Wirtschaftsexperte eindringlich: Fehlendes Vertrauen und Unsicherheit dürften nicht dazu führen, dass die Wirtschaft sich selbst schwäche.

DIW-Chef: „Ich halte das Argument, wir könnten uns keinen zweiten Lockdown leisten, für falsch.“

„Wir müssen ehrlich und offen über einen zweiten Lockdown reden“, erklärt der DIW-Chef im Interview mit der AA. Der Schutz der Gesundheit und der Schutz der Wirtschaft würden zwar häufig als Widersprüche angesehen, am Beispiel der USA ließe sich jedoch das Gegenteil belegen: Obwohl es dort keinen Lockdown gegeben hätte und die Menschen vielfach weder auf Masken noch Distanz geachtet hätten, leide die Wirtschaft massiv unter den Folgen der Coronavirus-Pandemie. Die Unsicherheit wäre dort groß und Unternehmen hielten sich mit Investitonen zurück, skizziert Fratzscher die Situation in den USA.

Video: Steigende Infektionszahlen - Ist ein zweiter Lockdown möglich? 

Ein zweiter Lockdown wäre für Deutschland also verkraftbar - sofern er die Ausbreitung des Coronavirus kurzfristig, aber effektiv angeht. So stellt sich Fratzscher entschieden gegen die Dauer-Kläger aus der Wirtschaft und versucht den Leuten, die Angst vor dem „Schreckgespenst“, wie es jüngst der Bundesverband mittelständische Wirtschaft nannte, - also die Furcht vor einem zweiten Lockdown - zu nehmen:

Ein zweiter Lockdown wäre aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht unbedingt ein Fehler. Denn zum langfristigen Schutz vieler Unternehmen ist eine schnelle Bekämpfung der zweiten Welle sinnvoll, um sie möglichst klein zu halten, als wie in den USA langfristig große Probleme zu haben. Nach einem kurzen zweiten Lockdown könnte man dann schneller wieder die Restriktionen lockern und zur Normalität zurückkehren.

Marcel Fratzscher, Leiter Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Doch Fratzscher ermahnt gleichzeitig die Bevölkerung, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass ein zweiter Lockdown wirklich durchgeführt werden muss. Die Menschen dürften sich nicht riskant verhalten und in Bus und Bahn zwar Masken tragen - zu Hause dann aber mit 30 Gästen ohne Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten Partys feiern. Denn eines steht für den deutschen Ökonomen fest: „Wir werden diese Krise nicht in einem bis eineinhalb Jahren hinter uns lassen. Wir müssen uns auf zwei bis drei holprige Jahre einstellen.“ (cos) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.

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