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Pendlerpauschale abschaffen? Kritiker sehen darin umweltschädliche „Zersiedlungsprämie“

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Von: Valentin Betz

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Dichter Verkehr auf der Autobahn A8 am Bernauer Berg in Richtung Norden.
Millionen Berufstätige fahren täglich weite Strecken zur Arbeit. Die Pendlerpauschale entlastet sie finanziell. © Rolf Poss/IMAGO

Berufstätige werden vom Staat mit der Pendlerpauschale für ihren Arbeitsweg entschädigt. Besonders aus Umweltgründen regt jetzt Widerstand dagegen.

Stuttgart - Wer in Großstädten wie Stuttgart* arbeitet, aber im Umland wohnt, kennt das Bild: Die Straßen sind verstopft mit Autos, die Bahnen brechend voll. Millionen Berufstätige pendeln tagtäglich etliche Kilometer von ihrem Wohnort zur Arbeit. Entsprechend fatal ist es, wenn wie im vergangenen Jahr die Bahn den Fahrplan in Baden-Württemberg kürzt (BW24* berichtete).

Warum Arbeitnehmer zu ihrem Dienstort pendeln, hat unterschiedliche Gründe. Viele Berufstätige haben keine andere Wahl, einige nehmen das Pendeln zugunsten anderer Vorteile billigend in Kauf. Fest steht aber: Unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel kann Pendeln ganz schön teuer werden. Weil diese Kosten aber nur beruflich bedingt sind, springt der Staat Arbeitnehmern mit der sogenannten Pendlerpauschale zur Seite.

Doch an diesem sozialen Aspekt regen sich schon lange Zweifel. Dazu kommt immer stärker die Kritik an den Umweltschäden, die der viele Pendlerverkehr auslöst. Wie die FAZ berichtet, werden Forderungen nach einer Abschaffung oder Reform lauter.

Pendlerpauschale: Millionen Arbeitnehmer vertrauen auf die Senkung der Steuerlast

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nutzen rund 18,4 Millionen Pendler das Auto mindestens für einen Teil der Strecke zum Arbeitsplatz. Das Bundesfinanzministerium schätzt, dass allein 2019 11,6 Millionen Steuerzahler um 5,1 Milliarden Euro entlastet wurden. Das seien 440 Euro pro Kopf, berichtet die FAZ.

Aktuell beträgt die Pendlerpauschale 35 Cent, zumindest ab dem 21. gefahrenen Kilometer. Eigentlich sollte das Geld hauptsächlich Normalverdiener entlasten, für die steigende Fahrtkosten ein Problem darstellen. Christian Hochfeld, Direktor der Denkfabrik Agora Verkehrswende, gibt gegenüber der FAZ aber zu bedenken, dass auch Menschen mit höheren Einkommen profitieren. Nicht nur deshalb fordert Hochfeld eine Reform der Pendlerpauschale.

Pendlerpauschale schadet der Umwelt: Experten fordern deshalb Reform

Das Umweltbundesamt bezeichnet die Pendlerpauschale als „klimaschädliche Subvention“. Die dadurch jährlich verursachten Kosten schätzt das Amt auf 65 Milliarden Euro. Andreas Burger, Leiter des Fachgebiets Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Umweltfragen beim Umweltbundesamt, glaubt, dass die Pauschale falsche Anreize setze. „Die Pendlerpauschale wirkt als Zersiedlungsprämie“, erklärt er der FAZ. Arbeitnehmer, die die Wahl haben, zögen ein Leben im entfernteren Speckgürtel der Nähe zum Arbeitsplatz in der Innenstadt vor.

Auch Christian Hochfeld bezeichnet die Pendlerpauschale gegenüber der FAZ in Bezug auf den Klimaschutz als „natürlich kontraproduktiv“. Stuttgart kann durch den Feinstaub* ein Lied davon singen. Dazu trägt auch bei, dass die Wahl des Verkehrsmittel für die Pendlerpauschale nicht mehr ausschlaggebend ist. Die Fahrt mit dem Auto wird ebenso belohnt, wie die mit dem Fahrrad. Erst kürzlich versuchte Baden-Württemberg deshalb, Pendler mit Brezeln aufs Rad zu locken*.

Eine Abschaffung der Pendlerpauschale ist trotzdem unwahrscheinlich. Auch die mögliche neue Ampel-Regierung will sie wohl beibehalten. FDP-Chef Christian Lindner sähe in der Streichung der Pauschale eine „Belastung der arbeitenden Mitte“. Die Experten fordern stattdessen, die Pendlerpauschale zu reformieren. Sie glauben, ein Betrag von 10 Cent je Kilometer unabhängig vom Steuersatz hätte eine „faire Verteilung“ zur Folge und käme vor allem unteren Einkommen zugute. *BW24 ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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