Mit Gift verseuchter Boden: Umweltskandal erschüttert Baden-Württemberg

In Teilen Baden-Württembergs ist der Boden mit einer giftigen Substanz verseucht. Entdeckt wurde das nur durch einen Zufall - doch das Problem wird wohl noch lange bestehen.
- In der Rheinebene wurden landwirtschaftliche Flächen mit giftigen Stoffen verseucht.
- Die Beseitigung des Problems könnte Jahre dauern und Milliarden verschlingen.
- Experten geben unter anderem der Kreislaufwirtschaft und fehlgeleitetem Recycling die Schuld für den Skandal.
Baden-Baden/Rastatt - Die Umwelt ist nicht erst ein Thema, seit die Politik in Baden-Württemberg von den Grünen bestimmt wird. Leider kommt es im Südwesten immer wieder zu Komplikationen, die oft im Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt und Bewahrung der Natur stehen. Ein Beispiel dafür ist Lithiumvorkommen unter der Erde. Die geplante Förderung des Rohstoffs schürt Ängste bei der Bevölkerung.
Besonders das Grundwasser in Baden-Württemberg ist ein wertvolles Gut, das es zu schützen gilt. Vorübergehende Verunreinigungen wie in Sindelfingen können aber zum Glück meist schnell beseitigt werden. Allerdings läuft im Südwesten schon seit Jahren ein Umweltskandal ab, der auch das Grundwasser hierzulande massiv bedroht - und damit die Gesundheit der Menschen vor Ort. Wie Recherchen der FAZ offenlegen, könnte das Problem Baden-Württemberg noch lange Zeit beschäftigen.
Baden-Württemberg: Giftige Substanzen im Boden nachgewiesen
Anlass für den Skandal sind Industriechemikalien, sogenannte „per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“, kurz PFAS/PFC. Hinter dem sperrigen Begriff verbergen sich Chemikalien, die im Alltag jedem durch ihre „wasser- und schmutzabweisenden Eigenschaften“ bekannt sind, wie das Umweltministerium Baden-Württemberg schreibt. In Outdoorbekleidung sorgen PFAS für den Lotuseffekt, der Wasser einfach abperlen lässt. Die Substanz kommt aber auch in der Galvanik, in Feuerlöschschäumen und als Pfannenbeschichtung vor.
Kritisch wird es, wenn PFAS in den menschlichen Körper gelangen. Wie die FAZ berichtet, stehen die Substanzen im Verdacht, entzündliche Darmerkrankungen, Asthma, Schilddrüsenerkrankungen und auch Hoden- oder Nierenkrebs zu verursachen. In Baden-Württemberg sind wohl schon vor sieben Jahren in der Rheinebene hohe Konzentrationen von PFAS im Boden aufgetreten - und das ebnet den Weg für die Substanzen, auch Menschen krank zu machen.
Giftige Substanzen in Baden-Württemberg: Zufall führt zu Entdeckung des Umweltskandals
Laut dem Regierungspräsidium in Karlsruhe sind Regionen im Landkreis Rastatt, Baden-Baden und Mannheim von der Belastung mit PFAS betroffen. Entdeckt wurde die giftige Substanz durch den engagierten Geschäftsführer der Stadtwerke Rastatt. Olaf Kaspryk sollte für die Gemeinderäte der Stadt das Wasser auf uranhaltige Schadstoffe untersuchen. Er ließ deshalb das Trinkwasser auf sämtliche Schadstoffe prüfen, die mit modernen Methoden überhaupt entdeckt werden können - gesetzlich ist das nicht vorgeschrieben. Erst so trat die hohe Belastung mit PFAS in den Böden der Region zutage.
Verantwortlich für den Umweltskandal ist aber nicht etwa ein Hersteller von Outdoorbekleidung, sondern laut FAZ ein Bio-Komposthändler. PFAS werden als wasserabweisende Schicht auch auf Lebensmittelverpackungen aus Papier aufgetragen. Als Nebenprodukt bleiben sogenannte Papierschlämme übrig. Diese kaufte der Komposthändler auf und mischte sie in sein Produkt. Während beispielsweise reiner Holzschliff durchaus in Kompost gemischt werden darf, ist das bei Papierschlämmen nicht der Fall. Gleichzeitig sind Komposthändler diesbezüglich aber nicht zum Nachweis verpflichtet.
Schließlich gab der Händler seinen Kompost kostenlos an Landwirte in der Rheinebene, die damit wiederum ihre Flächen düngten - der Umweltskandal war perfekt. „Für die überwiegende Mehrzahl der belasteten Flächen liegen konkrete Erkenntnisse vor, dass mit Papierschlämmen versetzter Kompost aufgebracht wurde“, schreibt auch das Regierungspräsidium Karlsruhe. Die Ausmaße der Umweltbelastung sind erschreckend. 100.000 Kubikmeter des PFAS-verseuchten Komposts wurden zwischen 2002 und 2008 auf landwirtschaftliche Flächen gebracht. Eine Fläche so groß wie der bayerische Ammersee ist verseucht.
Verseuchter Boden in Baden-Württemberg: Giftige Substanz wird Land noch lange beschäftigen
Über den verseuchten Boden gelangen die giftigen PFAS nicht nur in Lebensmittel, sondern auch ins Trinkwasser. Bei Blutuntersuchungen zwischen 2018 und 2020 wurden hohe Konzentrationen bei Hunderten Männern und Frauen nachgewiesen. Im Trinkwasser ist die Belastung mit der giftigen Substanz dabei noch in den Griff zu bekommen - für viel Geld. Teure Aktivkohlefilter sieben die Stoffe aus dem Wasser, 99 Prozent der PFAS können so beseitigt werden. Den Aufwand spürt am Ende der Verbraucher. Die Preise mussten bereits von 1,50 auf 2,08 angehoben werden, erklärt Olaf Kasryk von den Stadtwerken Rastatt der FAZ.
Problematischer stellt sich die Beseitigung der PFAS allerdings im Boden der Rheinebene dar. Bei Chemiker gilt die Substanz auch als „Ewigkeitschemikalie“, so die FAZ. Besonders für die perfluorierten Verbindungen sind laut Regierungspräsidium Karlsruhe „keine biologischen Abbauvorgänge bekannt.“ Entsprechend wäre die einzige Option, die PFAS in Baden-Württemberg loszuwerden, den Boden vollständig abzutragen. „Bei einer Fläche von 1188 Hektar, die ja hier in Mittelbaden belastet sind, wären das 3,3 Milliarden Euro, einschließlich der Deponiekosten“, so Wolfgang Hennegriff, Leiter des Umweltamtes im Rastatter Landratsamt, zur FAZ.
Damit ein Fall wie in der Rheinebene kein zweites Mal passiert, muss laut Reiner Söhlmann auch ein Umdenken bei der Kreislaufwirtschaft einsetzen. Er leitet die zuständige Stabsstelle des Landratsamts in Rastatt. „Dieser Fall ist ein Musterbeispiel für fehlgeleitetes Recycling“, sagte er der FAZ. Abfallstoffe wie Papierschlämme würden bis heute nicht als gefährlich eingestuft, zudem werde nach wie vor auf zu wenige Substanzen geprüft. „Das ist ein grundsätzliches Problem, das durch die Kreislaufwirtschaft entsteht“, warnt Söhlmann.
Auch die Grünen kommen in dem Umweltskandal nicht gut weg. 17 Bürgermeister schrieben eine Resolution an die Landesregierung. Doch passiert ist angesichts der Tatsache, dass die PFAS weiter vom Boden ins Grundwasser zu sickern drohen, offenbar nur wenig. Immerhin die Bluttests der Bevölkerung werden von der Regierung unterstützt, zudem sind elf Millionen Euro in die Region geflossen.